Datenschutz als Ware: Wie Einkaufs-Apps unser Verhalten und unsere Gesellschaft verändern

1. Rabatte gegen Daten – ein unausgewogenes Geschäft Einkaufs-Apps von Supermärkten/Discountern wie Lidl, Rewe und Penny sind längst nicht mehr nur praktische Helfer für digitale Einkaufslisten oder Sonderangebote. Sie haben sich zu ausgeklügelten Instrumenten der Datensammlung entwickelt, die das Einkaufsverhalten der Kunden genau analysieren und monetarisieren. Wer sich registriert, Gutscheine einlöst und sein Kaufverhalten offenlegt, […]

Feb 15, 2025 - 17:52
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Datenschutz als Ware: Wie Einkaufs-Apps unser Verhalten und unsere Gesellschaft verändern

1. Rabatte gegen Daten – ein unausgewogenes GeschäftDatenschutz als Ware

Einkaufs-Apps von Supermärkten/Discountern wie Lidl, Rewe und Penny sind längst nicht mehr nur praktische Helfer für digitale Einkaufslisten oder Sonderangebote. Sie haben sich zu ausgeklügelten Instrumenten der Datensammlung entwickelt, die das Einkaufsverhalten der Kunden genau analysieren und monetarisieren. Wer sich registriert, Gutscheine einlöst und sein Kaufverhalten offenlegt, wird mit Rabatten belohnt. Wer jedoch Wert auf Privatsphäre legt, erhält keinen Preisnachlass und zahlt den regulären Preis.

Diese Praxis mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen – schließlich wird ja niemand gezwungen, eine Einkaufs-Apps zu nutzen. Doch die Art und Weise, wie Rabatte gezielt als Belohnung für die Preisgabe persönlicher Daten eingesetzt werden, führt zu einer schleichenden Verhaltensänderung. Kunden lernen: Wer sparen will, muss seine Daten preisgeben. Diese Logik ist nicht nur fragwürdig, sondern auch gefährlich. Denn sie führt zu einer Normalisierung von Überwachung und untergräbt das Bewusstsein für den Wert von Datenschutz.

2. Die Normalisierung der Überwachung

Das Problem geht weit über die Einkaufs-Apps einzelner Supermarktketten hinaus. Die Logik, dass Rabatte, bessere Angebote oder schnellere Services nur denen gewährt werden, die sich überwachen lassen, findet sich inzwischen in vielen Lebensbereichen. Streaming-Dienste, soziale Netzwerke, Mobilitätsanbieter oder Versicherungen setzen zunehmend auf personalisierte Modelle, die auf Datensammlung basieren. Das Ziel ist immer dasselbe: ein immer detaillierteres Bild des individuellen Verhaltens, das zur Optimierung von Werbung, Preismodellen oder sogar Versicherungskonditionen genutzt werden kann.

Das Besorgniserregende daran ist nicht nur die Tatsache, dass Daten auf diese Weise gesammelt und genutzt werden, sondern vor allem, dass dies für viele Menschen zur Normalität wird. Wer seit Jahren Rabatte für die Preisgabe von Daten erhält, hinterfragt diesen Mechanismus irgendwann nicht mehr. Privatsphäre wird dann nicht mehr als Grundrecht (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Artikel 7 der Grundrechtecharta der EU) wahrgenommen, sondern als verzichtbare Option. Die langfristige Folge ist eine Gesellschaft, in der Datenschutz nur noch für jene eine Rolle spielt, die sich aktiv und bewusst dagegen wehren – eine immer kleiner werdende Minderheit.

3. Gesellschaftliche Folgen über den Einzelhandel hinaus

Diese Entwicklung hat aus meiner Sicht weitreichende gesellschaftliche Folgen. Ein zentrales Problem ist, dass Datenschutz zunehmend zu einem Privileg wird, das sich nicht jeder leisten kann. Menschen mit geringerem Einkommen sind stärker auf Rabatte angewiesen und daher eher bereit, ihre Daten preiszugeben. Wer finanziell besser aufgestellt ist, kann es sich hingegen leisten, auf Apps und damit verbundene Vergünstigungen zu verzichten. So entsteht eine Zweiklassengesellschaft: Auf der einen Seite diejenigen, die ihre Privatsphäre weitgehend bewahren können – auf der anderen Seite jene, die gezwungen sind, ihre Daten als Währung einzusetzen.

Ein weiteres Problem ist die zunehmende Machtkonzentration bei Unternehmen, die auf Datensammlung setzen. Wer große Mengen an Kundendaten besitzt, kann gezielt Einfluss auf Konsumverhalten und Marktmechanismen nehmen. Das betrifft nicht nur Werbung, sondern auch die Preisgestaltung. Schon heute gibt es Beispiele für dynamische Preismodelle, bei denen Kunden je nach Verhalten oder Standort unterschiedliche Preise angezeigt bekommen. Wer bereitwillig Daten teilt, könnte künftig bestimmte Vorteile genießen, während Datenschutzbewusste höhere Preise zahlen oder schlechtere Angebote erhalten. Die Transparenz über solche Mechanismen ist oft gering – für Verbraucher ist kaum nachvollziehbar, welche Daten zu welchen Zwecken genutzt werden.

4. Ein schleichender Kontrollverlust

Der wohl beunruhigendste Aspekt dieser Entwicklung ist der schleichende Kontrollverlust der Verbraucher über ihre eigenen Daten. Die wenigsten Nutzer lesen sich die umfangreichen Datenschutzbestimmungen der Einkaufs-Apps durch oder verstehen, welche Daten tatsächlich gesammelt werden. Oft bleibt unklar, welche Informationen mit Dritten geteilt werden und wie lange sie gespeichert bleiben. Viele Unternehmen argumentieren, dass die Daten anonymisiert oder ausschließlich für interne Zwecke genutzt werden – doch die Realität sieht oft anders aus. Als regelmäßige Leserinnen und Leser dieses Blogs wisst ihr das, doch eine wachsende Zahl von Menschen opfert ihre Privatsphäre für kurzfristige Rabatte.

Daten sind längst zur wichtigsten Währung im digitalen Zeitalter geworden. Unternehmen, die darauf Zugriff haben, können weit mehr daraus ableiten als nur das Einkaufsverhalten einzelner Personen. Wer regelmäßig eine bestimmte Art von Produkten kauft, kann Rückschlüsse auf Einkommen, Gesundheitszustand oder Lebensstil zulassen. Solche Informationen sind wertvoll – nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für Dritte, die Zugang zu diesen Daten erhalten könnten.

5. Fazit: Datenschutz muss die Regel sein, nicht die Ausnahme

Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage: Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der Datenschutz zur Ware wird? In der Privatsphäre nicht mehr ein Grundrecht ist, sondern eine Entscheidung, die mit finanziellen Nachteilen verbunden ist? Die zunehmende Ökonomisierung persönlicher Daten erfordert dringend eine kritische Debatte und vor allem regulatorische Maßnahmen.

Regulierungen wie die DSGVO sind ein Schritt in die richtige Richtung, reichen aber längst nicht aus. Unternehmen müssen in die Pflicht genommen werden, ihre Datensammlungen transparenter zu gestalten und alternative Modelle anzubieten, die nicht auf Überwachung basieren. Kunden sollten nicht gezwungen sein, ihre Daten preiszugeben, um wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen treffen zu können.

Letztlich geht es um eine grundsätzliche Weichenstellung: Behalten wir die Kontrolle über unsere Daten, oder lassen wir zu, dass Unternehmen immer stärker darüber bestimmen, wer welchen Zugang zu welchen Angeboten erhält? Die Antwort darauf wird nicht nur den Einzelhandel betreffen, sondern unser gesamtes Verständnis von Privatsphäre, digitaler Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit prägen.

Gesellschaftlicher Wohlstand darf nicht dadurch entstehen, dass wir unsere Daten an Unternehmen geben, die dann damit wirtschaften – wir können dabei nur verlieren. Ein nachhaltiger Wohlstand kann nicht auf der massenhaften Sammlung und Verwertung persönlicher Daten beruhen, sondern auf fairen wirtschaftlichen Bedingungen und einer transparenten digitalen Infrastruktur. Andernfalls wird nicht Wohlstand für alle geschaffen, sondern Ungleichheit weiter vertieft: Während einige wenige von den Daten profitieren, bleibt der Rest mit einem System zurück, das ihre Privatsphäre und Entscheidungsfreiheit untergräbt.

Es ist höchste Zeit, diese Entwicklung nicht nur zu hinterfragen, sondern aktiv gegenzusteuern. Datenschutz darf kein Luxus sein – er muss die Regel sein. Daher mein Appell: Verzichtet auf Einkaufs-Apps und auf Dienstleistungen, die Rabatte oder Vergünstigungen im Austausch gegen persönliche Daten anbieten. Jedes Mal, wenn wir diesen Modellen zustimmen, tragen wir dazu bei, dass Privatsphäre zur Handelsware wird. Die langfristigen Folgen reichen weit über ein paar gesparte Euro hinaus – wir verlieren die Kontrolle über unsere Daten, unser Verhalten wird analysiert und unser Konsum zunehmend gesteuert. Dieses Geschäftsmodell ist kein Fortschritt, sondern eine gefährliche Entwicklung, die dringend gestoppt werden muss. Wir müssen als Verbraucher und als Gesellschaft ein Zeichen setzen: Datenschutz darf keine Ware sein.