„Wer seinen Mitarbeitern keine Fragen stellt, verschenkt Potenzial“, sagt der Arbeits- und Organisationspsychologe Wolfram Berndt aus Ingelheim. Doch viele Unternehmerinnen und Unternehmer tun sich schwer damit, abseits des Tagesgeschäfts regelmäßig mit ihren Teammitgliedern in den Austausch zu gehen. „Mitarbeitergespräche sind oft das Erste, was im Alltagstrubel hinten runterfällt“, beobachtet Dirk Sliwka, Professor für Personalwirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Finden sie statt, seien die Gespräche oft überfrachtet. Und wer noch keine strukturierten Gespräche in seinem Unternehmen eingeführt habe, fühle sich angesichts der vielen Anforderungen schnell überfordert, erklärt Sarah Pierenkemper vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Viele Hürden also – doch es lohnt sich, sie zu überwinden. Denn gute Mitarbeitergespräche sorgen für Klarheit, verbessern die Zusammenarbeit, erhöhen die Produktivität und können die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern. Im Folgenden beantworten Expertinnen und Experten die wichtigsten Fragen und erklären, wie du Mitarbeitergespräche so gestaltest, dass sie für alle ein Gewinn sind.
Mit welcher Haltung gehe ich in die Gespräche?
Wichtiger als ausgeklügelte Fragetechniken oder perfekte Formulierungen ist laut Wolfram Berndt die eigene Haltung. Das Gespräch sei nicht als Generalabrechnung zu verstehen, sondern als Chance, mehr übereinander zu lernen und blinde Flecken zu verkleinern. Das gelingt nur, wenn ich mein Gegenüber wirklich verstehen will, mich selbst zurücknehme und bereit bin, selbst Feedback zu empfangen.
Echter Austausch setzt dabei wechselseitiges Vertrauen voraus. Können die Mitarbeitenden von einem grundsätzlichen Wohlwollen der Führungskraft ausgehen? Interessiert diese sich für sie und ihre Arbeit? Wie sind die Vorgesetzten in der Vergangenheit mit Feedback zu ihrem Führungsverhalten umgegangen? „Wenn es an den Stellen knirscht, wird sich ein Mitarbeiter im Gespräch stark zurückhalten“, so Berndt.
Wie führe ich Gespräche ein, wenn es bislang keine gab?
„Wichtig ist, dass Unternehmerinnen und Unternehmer offen erklären, welches Ziel sie mit den Gesprächen verfolgen“, sagt Antje Klimek aus Burgthann bei Nürnberg. Sie ist als Coachin und Führungskräftetrainerin auf Mitarbeiterbindung und Motivation spezialisiert. „So können sie zum Beispiel erläutern, dass sie Motivation und persönliche Entwicklung jedes Einzelnen fördern wollen und die Feedbackkultur im Unternehmen stärken möchten.“
Christian Thiele, Coach und Positive-Leadership-Experte aus Partenkirchen, rät zu einem sanften Einstieg in das neue Thema: „Statt gleich ein hochformelles Jahresgespräch einzuführen, kann es hilfreich sein, wenn Unternehmerinnen und Unternehmer zunächst mit monatlichen oder quartalsweisen Check-Ins beginnen“, so Thiele. Die Check-Ins können nur eine halbe Stunde dauern und Themen wie aktuelle Herausforderungen und ein Feedback zur derzeitigen Leistung des Mitarbeiters beinhalten. Langfristig sollte aus Thieles Sicht dann ein großes Jahresgespräch hinzukommen, das weitere Themen umfasst.
Wie bereite ich mich gut vor?
Antje Klimek empfiehlt, als Erstes ein Gesprächsziel festzulegen: „Das kann ein ganz allgemeines Feedback sein, es kann aber auch um Jahresziele oder die Motivation eines Mitarbeiters gehen. Manchmal gibt es natürlich auch Probleme in der Zusammenarbeit, die man in einem Mitarbeitergespräch gemeinsam lösen will.“ Sie rät von einem starren Ablaufplan ab, empfiehlt aber, Leitfragen vorzubereiten und offen für weitere Themen zu sein. Die Mitarbeitenden sollten vorab erfahren, worum es geht – und auch gefragt werden, ob sie über ein bestimmtes Thema sprechen möchten.
Zur Vorbereitung gehört auch, genügend Zeit einzuplanen: Unmittelbar vor und direkt nach dem Gespräch sollten Chefinnen und Chefs Luft in ihrem Kalender lassen. Für das Gespräch selbst rät Klimek, mindestens eine, eher anderthalb Stunden einzuplanen. Auch die Wahl des Ortes spielt eine Rolle. „Wie wirkt es, wenn das Gespräch im Büro des Chefs stattfindet?“, so Klimek. Möglicherweise sei das Vorgesetztenverhältnis dann sehr präsent. Ein neutraler Ort wie ein Besprechungsraum könne die bessere Wahl sein – sofern man dort nicht aus Gewohnheit nur über das Tagesgeschäft rede. Persönlicher kann es in einem Restaurant oder während eines Spaziergangs werden, solange sich beide damit wohlfühlen.
Wie ist ein klassisches Jahresgespräch aufgebaut?
1. Rückblick
„Üblicherweise startet man mit einem Rückblick und schaut gemeinsam auf die Ziele und Projekte, die man für das zurückliegende Jahr vereinbart hatte. Es geht darum, inwiefern der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin diese erreicht oder erfolgreich abgeschlossen hat“, sagt Christian Thiele.
2. Feedback
Eine Rückmeldung zur Arbeitsweise sollte ein zentraler Baustein jedes Mitarbeitergesprächs sein. „Wichtig ist, dass Chefinnen und Chefs ihr Feedback am sichtbaren Verhalten des Mitarbeiters festmachen und ihr Lob daran orientieren oder konkrete Verbesserungsmöglichkeiten vorschlagen“, sagt Antje Klimek. Laut Coach Christian Thiele sollten Unternehmer ihre Mitarbeitenden nicht nur kritisieren, sondern mit ihnen gemeinsam überlegen, wie die Leistung in Zukunft verbessert werden kann.
Mangelnde Leistung beruht nicht immer darauf, dass jemand eine Aufgabe nicht beherrscht. Manchmal fehlen einem Mitarbeiter auch schlicht entscheidende Informationen, die er zur Erledigung einer Aufgabe braucht. Chefs sollten daher unbedingt fragen, ob der Kollege Zugang zu allen entscheidenden Ressourcen hat. Auch die Frage „Was brauchst du von mir als Führungskraft?“ hat sich laut Wolfram Berndt bewährt.
Um Feedback zum eigenen Führungsverhalten zu bekommen, rät der Coach Christian Thiele zu Fragen wie: „Was mache ich gut? Was sollte ich deiner Meinung nach anders oder besser machen? In welcher konkreten Situation warst du mit meinem Verhalten nicht zufrieden?“
3. Motivation, Arbeitsumfeld und Entwicklungsmöglichkeiten
Wolfram Berndt ist überzeugt, dass die meisten Mitarbeitenden gern über ihre Arbeit sprechen. „Was macht dir Spaß in deinem Job? Was motiviert dich? Was hast du Neues gelernt, was dich inspiriert hat?“ – mit diesen Fragen komme man ins Gespräch. Dann können Unternehmerinnen und Unternehmer sich erkundigen, ob es weitere oder andere Aufgaben gibt, die der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin übernehmen möchte.
4. Zukünftige Zusammenarbeit
Welche Meilensteine wollen wir im kommenden Jahr gemeinsam erreichen? Welche Projekte sollen bis wann abgeschlossen sein? Welche Erwartungen haben wir für die Zukunft? Dieser Blick nach vorn ist für Wolfram Berndt entscheidender als die Vergangenheitsbeurteilung.
Vorsicht: Insbesondere wenn Chefinnen und Chefs sich nur einmal im Jahr Zeit nehmen, um ausführlich mit jedem einzelnen Mitarbeiter
zu sprechen, passiert es schnell, dass die Gespräche überfrachtet werden. Wichtig ist deshalb, sich vorab zu fokussieren und zu überlegen: Über welche drei Punkte möchte ich heute auf jeden Fall sprechen?
Sollen wir über Geld reden – oder lieber nicht?
Alles rund ums Geld ist aus Sicht der Experten in einem separaten Gehalts- oder Bonusgespräch besser aufgehoben. Sonst besteht die Gefahr, dass dieses Thema das Gespräch dominiert. „Ich bin weniger empfänglich für negatives Feedback, wenn gleichzeitig meine Bonuszahlung diskutiert wird“, erklärt Dirk Sliwka. „Und meine Bereitschaft, als Mitarbeiter meiner Führungskraft kritische Rückmeldungen zu geben, ist auch niedriger.“
Wie kann ich Konflikte am besten ansprechen?
„Ich beobachte tendenziell eine beidseitige Angst vor Konflikten im Mitarbeitergespräch“, sagt Wolfram Berndt, der als Coach, ehemaliger HR-Verantwortlicher und Psychologe jahrzehntelange Erfahrung hat. In Zeiten eines weniger starken Fachkräftemangels sei es Führungskräften seiner Wahrnehmung nach leichter gefallen, kritische Ereignisse oder problematische Verhaltensweisen anzusprechen. Heute würden sich manche zurückhalten – aus Sorge, Angestellte könnten als Reaktion auf allzu kritische Worte das Unternehmen verlassen.
Berndt rät Chefinnen und Chefs, ihre Einstellung zu Konflikten zu hinterfragen. „Konflikte bringen einen weiter“, sagt er. „Sie zu thematisieren, ist ein Zeichen von Wertschätzung.“ Das könne man auch der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter spiegeln: „Das bedeutet, ich bin an dir interessiert, ich möchte dich verstehen, ich setze mich mit dir auseinander.“
Statt das Gegenüber mit Vorwürfen zu konfrontieren, bietet sich eine Methode aus der gewaltfreien Kommunikation an: das 3-W-Feedback. Die Formel hilft, kritische Rückmeldungen objektiv, nachvollziehbar und konstruktiv zu formulieren. Dafür schildert die Führungskraft ihre eigene Wahrnehmung, beschreibt die Wirkung, die diese Situation auf sie hatte, und äußert dann einen Wunsch. Statt „Du bereitest Termine schlampig vor!“, könnte das Feedback lauten: „Mir ist aufgefallen, dass wir im letzten Kundentermin viel Zeit damit verbracht haben, über die Agenda zu sprechen. Das hat mich geärgert, weil mir Zuverlässigkeit und Effizienz wichtig sind. Ich möchte, dass die Agenda einen halben Tag vor dem Termin feststeht und wir uns dazu noch einmal austauschen.“
In Konfliktgesprächen ist es besonders wichtig, viele Fragen zu stellen. Etwa: Kannst du meine Kritik nachvollziehen? Was siehst du anders? Welche Lösungen siehst du, die ich bislang vielleicht übersehen habe?
Und wenn sich die Konflikte nicht direkt lösen lassen? Wolfram Berndt rät, auch das zu thematisieren, etwa so: „Es gibt Themen, bei denen wir unterschiedlicher Auffassung bleiben.“ Und dann die Frage anzuschließen: „Was bedeutet es für unsere Zusammenarbeit, wenn wir da nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen?“
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Wann und wie oft sollte ich mit allen reden?
Zur optimalen Häufigkeit von Mitarbeitergesprächen gibt es laut Wirtschaftswissenschaftler Dirk Sliwka noch keine aussagekräftigen Studien. Er bemerkt, dass viele größere Unternehmen seit einiger Zeit nicht mehr auf Jahresgespräche setzen, sondern zu einem kürzeren, quartalsweisen Austausch übergegangen sind. „Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das eine gute Lösung sein kann“, sagt Sliwka.
Wie oft Gespräche abseits des Tagesgeschäfts geführt werden sollten, hängt ihm zufolge auch von der Arbeitssituation ab: Beschäftigt ein Betrieb Servicetechniker, die ständig unterwegs sind und ihren Teamleiter kaum sehen, kann ein fester Gesprächstermin alle drei Monate hilfreich sein. „Bei einem kleinen Team mit fünf Leuten, die alle auf dem gleichen Flur sitzen und eh ständig miteinander reden, wären längere Quartalsgespräche vermutlich zu viel.“ Auch in Teams, die mit agilen Methoden arbeiten und sich in täglichen Stand-up-Meetings austauschen, kann eine vierteljährliche Taktung zu viel sein. Es gilt also, einen passenden Rhythmus für die eigene Firma zu finden.
Bei der Terminwahl sollten Unternehmerinnen und Unternehmer pragmatisch sein: Geht es etwa zum Jahresende im Betrieb hektisch zu, sollten Mitarbeitergespräche lieber in eine ruhigere Zeit gelegt werden. Der Blick nach vorn und zurück ist jederzeit möglich.
Wir machen das schon lange. Was bringt Abwechslung?
Jedes Mal die gleichen Fragen? „Wenn die Gesprächspartner in manchen Punkten genau wissen, wo sie stehen und welche Auffassungen existieren, kann man es auch einfach mal dabei belassen“, findet Wolfram Berndt. Mehr Abwechslung bieten seiner Erfahrung nach Kartensets, die Fragen zu unterschiedlichen Themenfeldern beinhalten. Mitarbeiter und Führungskraft suchen sich im Vorfeld drei Themen aus dem Kartenset aus. „So gebe ich eine gewisse Struktur vor und erfahre gleichzeitig, was dem anderen wichtig ist“, erklärt Berndt. „Greift ein Mitarbeiter ein bestimmtes Thema auf und ich nicht, kann das ein spannender Anknüpfungspunkt sein.“
Eine andere Möglichkeit sind Feedback-Methoden, die sich nicht auf das Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter beschränken, sondern das ganze Team einbeziehen.
Muss ein Mitarbeitergespräch protokolliert werden?
„Ein Protokoll ist nicht zwingend nötig“, sagt Rechtsanwalt Volker Görzel von der Kanzlei HMS Barthelmeß Görzel in Köln. Wird eines angefertigt, hat es nur die Funktion einer Gedächtnisstütze. Haben allerdings beide Seiten unterschrieben und kommt es später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über ein im Mitarbeitergespräch besprochenes Thema, kann das Protokoll Görzel zufolge auch als Beweis herangezogen werden.
Sarah Pierenkemper vom Institut der deutschen Wirtschaft rät, die Ergebnisse zumindest stichwortartig festzuhalten, um Verbindlichkeit herzustellen und in späteren Gesprächen darauf zurückgreifen zu können. Für Wolfram Berndt hat es sich bewährt, die Mitarbeitenden am Ende eine Zusammenfassung schreiben zu lassen. „So habe ich noch einmal die Möglichkeit zu sehen, was bei meinem Gegenüber wirklich angekommen ist.“ Für eine besonders schlanke Protokollvariante könne man am Ende des Gesprächs auch fragen: „Was ist dir besonders wichtig, was sollten wir festhalten?“
Extra-Tipp: Schwierige Gespräche vorab simulieren
Künstliche Intelligenz bietet mittlerweile viele Möglichkeiten, sich optimal auf ein Konfliktgespräch vorzubereiten. Etwa über ein Rollenspiel mit ChatGPT als Trainingspartner. Mit dem Rollenspiel kannst du üben, auch in schwierigen Gesprächen effektiv und einfühlsam zu kommunizieren. Du testest verschiedene Ansätze und Strategien in einer geschützten Umgebung.
Beispielsweise könntest du ausprobieren, wie die Mitarbeiterin, die bei kritischem Feedback sofort zumacht, auf eine Fragetechnik reagiert. Weise dafür dem Chatbot die Rolle der Mitarbeiterin zu und spiele das Gespräch durch. Wichtig: Füttere die KI mit möglichst viel Kontext über die Mitarbeiterin und die Situation. Ist sie schon lange im Unternehmen? Wie hat sie in früheren Gesprächen reagiert?
Prompt-Vorlage: „Das ist ein Rollenspiel. Du übernimmst die Rolle einer Mitarbeiterin in unserem Unternehmen, die in den letzten Monaten wiederholt Leistungsschwächen gezeigt hat [Kontext ergänzen: Unternehmen, spezifisches Verhalten, bisherige Feedbackgespräche, Rolle der Mitarbeiterin etc.]. Ich werde das Gespräch führen, um die Ursachen deiner Probleme zu verstehen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Mein Ziel ist es, eine Verbesserung deiner Leistung zu erreichen und zu klären, wie das Unternehmen dich dabei unterstützen kann. Spiele die dir zugewiesene Rolle so authentisch wie möglich, damit sich ein Dialog entwickelt, der auch so stattfinden könnte.“
Wichtig: Führe das Gespräch mit ChatGPT so, als ob es real wäre. Reagiere flexibel auf die Antworten der KI und passe das Gespräch immer wieder an, um realistische Szenarien zu simulieren.
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