Ich begegne recht häufig Chefinnen und Chefs, die sich wünschen, dass die Menschen in ihrem Unternehmen doch bitte „unternehmerisch handeln“ sollen. Ich frage dann, was sie damit meinen. Was bedeutet „unternehmerisch handeln“? Meist höre ich dann, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel Umsatzideen entwickeln, dass sie die Kosten im Blick halten und einfach mitdenken sollen. Aus meinem Verständnis also das tun, was im Rahmen ihrer jeweiligen Funktion ohnehin dazu gehört.
Für mich ist unternehmerisches Handeln und Denken aber etwas anderes. Wer unternehmerisch denkt, schaut weniger auf das Hier und Jetzt, auf Sparpotenziale oder aufs Projektmanagement. Unternehmerisch zu denken bedeutet für mich, auf das zu blicken, was kommen kann – ja sogar, was entstehen soll: Erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer ziehen oft ihre Kraft aus der Zukunft. Sie sehen eine Idee am Horizont und denken: Genial – da möchte ich hin. Dafür setze ich meine Kraft ein. Und auf geht’s.
Unternehmerische Menschen wenden den Blick auf die Zukunft
Was unterscheidet den Mitarbeitenden von der Unternehmerin oder dem Unternehmer? Die Mitarbeitenden möchten in ihrer Arbeit Sinn finden, sie wollen in einem guten Team arbeiten, wollen ein gutes Gehalt, Abläufe oder Produkte verbessern. Sie sind für gewöhnlich im Hier und Jetzt.
Wirkungsvolle Unternehmerinnen und Unternehmer dagegen sind immer wieder fähig, loszulassen und den Blick zu wenden, vom Hier und Jetzt auf die Zukunft: Was ist unser eigentliches Ziel? Was hat mich ursprünglich einmal dazu gebracht, ein Unternehmen zu gründen oder zu übernehmen? Wo sehe ich Chancen? Das Denken und Handeln entspringt förmlich aus der Zukunft.
Vorgesetzte sollten nicht im Dauerlöscheinsatz sein
In Krisenzeiten kann man auf zwei Arten reagieren: wie klassische Angestellte oder wie Unternehmer. Vorgesetzte, die wie ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeitern agieren, stellen den akuten Krisenmodus an: Sie gehen ihrem ersten Impuls nach und löschen Brände. Das ist gewissermaßen ihre Komfortzone, denn wenn sie etwas tun, dann fühlen sie sich wohl und wirksam. Daher arbeiten sie verbissen, versuchen mit aller Macht wieder in das alte Fahrwasser zu kommen.
Unternehmerinnen und Unternehmer im akuten Krisenmodus fangen oft an, alles selbst zu entscheiden. Das macht ihr Team klein, Mitarbeitende suchen plötzlich für jede Kleinigkeit die Zustimmung des Chefs oder der Chefin. Die sind weiter im Tunnel und ackern, ackern, ackern.
Keine Frage: Dann ist so eine Krisenzeit für alle Beteiligten einfach nur schrecklich.
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Die Krise hat das Hamsterrad gestoppt
Geübte Unternehmerinnen und Unternehmer dagegen machen etwas Verrücktes: Sie halten an. Die US-Amerikaner nennen das: „Drop the tools“ – lass das Werkzeug fallen. Denn geübte Unternehmer wissen, dass einfach weiter zu ackern nicht viel bringen wird.
Wenn man in diesen Zeiten der Polykrisen etwas Gutes sehen will, dann vielleicht das: Sie hat für viele Unternehmerinnen und Unternehmer das Hamsterrad gestoppt. Die Krisen fordern uns auf: „Los, lass dir was einfallen!“ Sie sind daher eine Chance, aus dem täglichen „Tun, Tun, Tun“-Modus auszusteigen und wieder unternehmerisch zu denken, neu in die Zukunft zu blicken – und, ganz wichtig: in dieser Zukunft auch etwas Attraktives zu sehen.
Chef oder Chefin sind nicht dafür da, beliebt zu sein
Unternehmerisch zu denken bedeutet aber nicht nur, in der Zukunft etwas Attraktives zu finden. Es bedeutet auch, Herausforderungen vorherzusehen. Geübte Unternehmerinnen und Unternehmer sehen, was auf die Firma zukommt, und treffen daraufhin Entscheidungen.
Das kann einen unpopulär machen, wenn die Teammitglieder denken: „Es läuft doch. Warum müssen wir jetzt schon wieder alles verändern?“ Aber Chef oder Chefin sind nicht dafür da, beliebt zu sein. Sie ist dafür da, vorausschauende Entscheidungen zu treffen – und diese gut zu vermitteln. Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer nennt das „unbequeme Hoffnung“ vorzuleben.
Wie aber vermittelt man eine Entscheidung gut? Eine Variante ist, sie erst gar nicht allein zu treffen. Stattdessen lädt man sein Kernteam ein, gemeinsam einen Blick in die Zukunft zu werfen. Wenn man sich gemeinsam fragt: Was verschiebt sich gerade? Was passiert eigentlich, wenn nichts passiert? Wenn wir weitermachen wie bisher? Dann wird ziemlich schnell klar, dass man heute anfangen muss, sich zu verändern, wenn man morgen noch mithalten will.
In diesem Kernteam dann an der Zukunft zu arbeiten, ein konkretes Bild zu entwerfen, wo man gemeinsam hinmöchte, entfaltet eine enorme Kraft – für das Team und auch für die, die es führen. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer erleben das geradezu als Befreiung. Sie kommen aus der Rolle heraus, immer für alle Probleme (allein) die (einzig richtige) Lösung zu finden.
Fragen stellen statt Probleme lösen
Wenn man immer für alles die Lösung liefert, kommen die Mitarbeitenden nur noch bei einem vorbei, wenn sie Probleme haben. Sinnvoller ist es, stattdessen Fragen zu stellen: „Was hast du dir gedacht, wie wir die Sache lösen können? Was ist deine Idee? Angenommen, du könntest es ganz anders angehen: Wie wäre dein Ansatz?“ Fragen zu stellen bedeutet, dem Gegenüber etwas zuzumuten. Es bedeutet auch dem gegenüber zuzutrauen, eigene Antworten zu liefern. Man spricht mit seinem Team wie mit Erwachsenen. Nur wer seine Mitarbeitenden wie Erwachsene behandelt, kann auch von ihnen erwarten, dass sie erwachsen handeln.
Noch besser: Durch den gemeinsamen Blick in die Zukunft bekommt man endlich das, was man sich immer gewünscht hat – ein Team, das unternehmerisch denkt.
Der Gastautor
Maic Staebler ist Coach für Mitarbeiterführung und -entwicklung und Referent an der impulse-Akademie. Er ist Co-Gründer und Partner der HPO Research & Consulting. Seit 2001 unterstützt er Menschen in Führungsverantwortung. Er hat dazu seit 2004 in diversen internationalen Leadership-Development-Programmen Führungskräfte aus über 50 Nationen in über 20 Ländern als Trainer und Coach begleitet.
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