Oprah Winfrey hat als Moderatorin und Unternehmerin Milliarden verdient. In einem Video verrät die US-Amerikanerin, was das Wichtigste war, das sie je in ihrem Leben getan hat: Dankbarkeitstagebücher führen. Seit den 1990er Jahren notiere sie jeden Tag fünf Dinge, für die sie dankbar ist. Das können große Ereignisse sein, aber auch Kleinigkeiten – etwa morgens vom Schlafzimmerfenster aus den Sonnenaufgang beobachten oder ein Himbeer-Sorbet essen.
Der Effekt, so Winfrey, sei enorm. Bewusst dankbar zu sein und darüber zu schreiben, habe ihre Einstellung verändert: „Du wirst empfänglicher für das Gute in deinem Leben.“ Das ist eine der Auswirkungen, die regelmäßiges Journaling – in diesem Fall in Form eines Dankbarkeitstagebuchs – haben kann.
Wie du Journaling für dich nutzen kannst und welche Form dir in welcher Situation am besten weiterhilft.
Was ist Journaling?
„Journal“ ist das englische Wort für Tagebuch. „Das Tagebuch ist seit Jahrhunderten ein Ort, an dem Menschen Geschehnisse und Gedanken dokumentieren, erklärt Birgit Schreiber, Coach und Schreibdozentin aus Bremen. Beim Journaling gehe man jedoch einen Schritt weiter: „Ich überlege vorher: Was brauche ich jetzt? Was muss ich bearbeiten? Was will ich erreichen?“ Journaling sei Schreiben mit Intention: „Dadurch hilft es mir, den Fokus auf mich zu richten und wieder bei mir anzukommen.“
Seit den 1960er Jahren wird Journaling als therapeutische Methode eingesetzt, etwa um Traumata zu verarbeiten. Vorreiter war der New Yorker Psychologe Ira Progoff mit seinem „Intensive Journal Program“. Später entwickelten zum Beispiel die Therapeutin Kathleen Adams, bei der auch Journaling-Coachin Schreiber eine Ausbildung absolvierte, oder der Psychologie-Professor James W. Pennebaker den Ansatz weiter.
Wie funktioniert Journaling?
Es gibt verschiedene Ansätze: Die einen nutzen spezielle Notizbücher mit vorgegebenen Fragen, die sie täglich beantworten. Andere gestalten selbst ein so genanntes Bullet Journal und verbinden dabei Kalender, Notizbuch und Selbstreflexion. Viele Künstlerinnen und Kreative schwören dagegen auf das freie Schreiben auf leeren Seiten.
Für den Einstieg rät Birgit Schreiber, erst einmal auszumachen, was das eigene Bedürfnis ist – und dann zu überlegen, welche Herangehensweise und welcher Schreib-Impuls am besten helfen könnte. Drei Beispiele:
„Mir schwirrt der Kopf vor lauter Aufgaben – ich brauche mehr Konzentration“
Dieser Schreib-Impuls hilft: Was ist der nächste Schritt?
„In Momenten der Überlastung nehme ich mir drei bis fünf Minuten, stelle mir einen Timer und schreibe, was mir zu der Frage in den Sinn kommt“, erklärt die Schreib-Expertin. Der nächste Schritt lasse sich immer finden, darauf könne man dann aufbauen. Und schon entstehe mehr Klarheit und Struktur für den Tag.
„Ich habe ein akutes Problem mit XY und brauche eine Lösung.“
Dieser Schreib-Impuls hilft: Was würde eine erfolgreiche Person in meiner Situation jetzt tun?
Durch das Beantworten dieser Frage gelingt laut Birgit Schreiber ein Perspektivwechsel. „Ich fange an, ‚out of the box‘ zu denken, und bekomme neue Ideen, wie ich mein Problem lösen könnte“, erklärt sie. „Und am Ende denke ich: Das kann ich ja auch!“
„Ich habe Streit mit XY und möchte ihn beilegen.“
Dieser Schreib-Impuls hilft: Schreibe ein Porträt über diese Person. Wer ist sie? Was macht sie aus? Was macht sie fröhlich, was unglücklich? Was frühstückt sie? Was ist ihre Lieblingsserie?
Für diese Übung brauche man etwas mehr Zeit, so Birgit Schreiber. Sie selbst habe gute Erfahrungen damit gemacht: „Nach einem Streit mit einer Freundin wurde mir durch das Schreiben klar: Der Konflikt, den wir da gerade haben, ist eigentlich Pillepalle. Ich finde sie als Menschen klasse.“
Weitere Journaling-Formen
Dankbarkeitsjournal
Wer sich entlasten und Stress abbauen möchte, kann ein Dankbarkeitstagebuch führen. So wie Oprah Winfrey notiert man darin jeden Tag, wofür man dankbar ist. Ob morgens oder abends, drei, fünf oder sieben Dinge – das ist dem Schreiber oder der Schreiberin selbst überlassen. Wichtig ist die Regelmäßigkeit.
Morgenseiten
Allen, die produktiver und kreativer zu werden möchten, empfiehlt Journaling-Expertin Schreiber, die so genannten Morgenseiten auszuprobieren. Das Prinzip ist einfach: Man setzt sich jeden Morgen mit Zettel und Stift hin und schreibt drei DIN-A-4-Seiten voll – mit allem, was einem in den Sinn kommt.
Erfolgstagebuch
Wer öfter mit sich selbst hadert, unsicher ist und glaubt, seine Ziele nicht zu erreichen, kann ein Erfolgstagebuch führen und regelmäßig diese Fragen beantworten: Was ist mir heute gut gelungen? Was war ein Erfolg?
Was kann Journaling bewirken?
Birgit Schreiber beschäftigt sich seit rund acht Jahren mit Journaling. Ihr Eindruck: „Je stärker wir abgelenkt werden, je mehr wir um Phasen konzentrierten Arbeitens ringen, desto attraktiver wird das analoge Journaling.“ Das sind die drei größten positiven Effekte:
1. Weniger Stress
Journaling lässt Menschen schon deshalb zur Ruhe kommen, weil sie sich auf nur eine Sache konzentrieren: das Schreiben. In Studien konnten zudem positive Effekte der Methode unter anderem auf das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem und das Schmerzempfinden nachgewiesen werden. Auch bei psychischen Problemen kann das reflektierende Schreiben der Journaling-Expertin zufolge helfen.
2. Mehr Klarheit
Das freie Schreiben, etwa in Form von Morgenseiten, macht es leichter, die eigenen Gedanken zu sortieren und sich bewusst zu machen, was man wirklich will. Sich schreibend mit einem Problem zu beschäftigen, habe aber noch einen weiteren Effekt, betont Birgit Schreiber: „Wenn ich etwa ein Problem oder einen Konflikt benenne, gewinne ich bereits dadurch ein Stück Kontrolle zurück. Die Situation wird handhabbarer und ich werde wieder zur Gestalterin meines Lebens.“
3. Mehr Motivation
Journaling, etwa in Form eines Erfolgstagebuchs, führt einem vor Augen, was man schon alles erreicht hat. Wer unzufrieden ist oder mit seinen Aufgaben hadert, kann den Fokus beim Schreiben auf das Positive richten und so seine Motivation stärken, etwa durch Fragen wie: Was gefällt mir an meiner Arbeit? Was erfüllt mich mit Sinn? Welchen positiven Beitrag leistet mein Unternehmen?
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Wie gelingt der Einstieg?
Wer von Journaling profitieren möchte, brauche natürlich eine gewisse Bereitschaft, sich darauf einzulassen, so Birgit Schreiber. „Am Anfang mag es ungewohnt sein, regelmäßig einen Stift in die Hand zu nehmen. Bei vielen ist die Lust auf das Schreiben auch durch negative schulische Erfahrungen verdorben, bei anderen als esoterisch gebrandmarkt“, sagt die Expertin. Sie rät, das Schreiben für ein, zwei Wochen auszuprobieren: „In der Regel zeigt dann die Erfahrung, wie gut es einem tut. „Wer diesen Effekt ein paarmal erlebt hat, will ihn immer wieder spüren.“
Es kann helfen, das Journaling an eine bestehende Routine zu knüpfen. Zum Beispiel, indem man sich immer morgens nach dem Anziehen hinsetzt und fünf Minuten lang schreibt. Wichtig ist auch, sich nicht zu viel vorzunehmen. „Niemand muss jeden Tag eine Stunde lang etwas notieren. Es reichen auch ein paar Minuten zwischendurch“, so Birgit Schreiber.
Weitere Tipps fürs Journaling
Laptop und Handy weglegen: Viele Experten raten dazu, per Hand zu schreiben, da man so einen besseren Zugang zu seinen Gefühlen finde. „Der Vorteil von Papier und Stift ist, dass es entschleunigt“, sagt auch Birgit Schreiber.
Sich nicht korrigieren: Rechtschreibung und Stil spielen keine Rolle. Was du notierst, ist nicht für andere bestimmt.
Zügig schreiben und nicht grübeln: Beim Journaling geht es um das Schreiben an sich – nicht um die perfekte Formulierung.
Den inneren Zensor ausschalten: Es gibt kein richtig oder falsch. Alles, was man schreibt, ist okay.
Zur Inspiration: Fragen für deine Journaling-Praxis
Was müsste passieren, damit dieser Tag großartig wird?
Was hat mich heute glücklich gemacht?
Was habe ich heute gelernt?
Was habe ich heute Gutes getan?
Wann habe ich mich heute lebendig gefühlt?
Welches Ziel möchte ich morgen/nächste Woche/nächsten Monat erreichen?
Was war die schönste Erinnerung aus dem letzten Jahr? Warum?
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Die Expertin
Dr. Birgit Schreiber ist Schreibdozentin und arbeitet als Journalistin und Coach in Bremen. Sie lehrt an der Uni Vechta und der Alice Salomon Hochschule in Berlin und ist Autorin des Buches „Schreiben zur Selbsthilfe“ (Springer, 19,99 Euro). Außerdem hat sie ein Kartenset der Journaling-Pionierin Kathleen Adams mit inspirierenden Schreib-Prompts ins Deutsche übersetzt.
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