Mit 18 Jahren stieg Vanessa Weber in das Familienunternehmen ihrer Eltern ein, einem Werkzeughandel im bayerischen Aschaffenburg mit damals neun Mitarbeitenden. Als impulse- Bloggerin berichtete sie viele Jahre über die Höhen und Tiefen als Inhaberin eines mittelständischen Betriebs. Jetzt hat sie ihr Unternehmen an einen langjähren Marktbegleiter und Freund verkauft, der das ganze Team übernimmt und den Standort erhält. Warum die Entscheidung für sie so schwer war – und wie sie sich jetzt neu erfindet.
impulse: Viele kennen dich als Stimme des Mittelstands. Wie war es für dich, den Verkauf deines Unternehmens öffentlich zu machen?
Vanessa Weber: Ich habe mich gefragt, was andere über mich denken. Wirkt das jetzt, als wäre ich gescheitert? Neulich war ich im Supermarkt, ich wollte nur schnell Brot und Aufstrich kaufen. Ich habe aber ständig Menschen getroffen, die ich kannte, und alle wollten wissen, was los ist. Ich war dann eineinhalb Stunden in dem Laden. Ich will offen mit der Entscheidung umgehen, das war mir von Anfang an klar. Auch, weil ich es als Signal an andere Unternehmerinnen und Unternehmer wichtig finde.
Warum?
Wenn du darüber nachdenkst, dein Unternehmen zu verkaufen, musst du kein schlechtes Gewissen haben. Du kannst es auch aus einer anderen Perspektive sehen: Dass es ein mutiger und verantwortungsvoller Schritt sein kann. Hätte ich jetzt nicht verkauft, gäbe es uns vielleicht nächstes Jahr gar nicht mehr.
Du warst mehr als 20 Jahre lang Inhaberin des Familienunternehmens. Warum hast du
entschieden, zu verkaufen?
Unsere wirtschaftliche Situation wurde immer schwieriger. Wir machen viele
Betriebseinrichtungen, liefern zum Beispiel Regalanlagen oder Werkbänke. Viele Industrieunternehmen haben keine großen Investitionen getätigt die letzten Jahre, weil sie durch Krisen und Bürokratie verunsichert waren. Das hat uns 50 Prozent vom Umsatz gekostet. Ende 2022 fing ich an, Gespräche mit einem Interessenten zu führen, bei dem Werkzeug Weber weitergeführt worden wäre. Wir waren uns eigentlich einig, aber er hat mich immer wieder vertröstet. Das zog sich über zwei Jahre.
Was ist dann passiert?
Ich habe von Anfang an klargemacht: Unser Gebäude verkaufe ich nicht. Das bleibt in Familienhand, als Altersvorsorge für meine Eltern. Ich habe mich darauf verlassen, dass dieser Deal klappt. Ich habe dann natürlich auch nichts mehr investiert. Gleichzeitig wurde unsere Auftragslage immer schlechter. Im November letzten Jahres mussten wir Kurzarbeit anmelden. Und kurz vor Weihnachten sagte der potenzielle Käufer auf einmal, dass er sich nur auf das Geschäft einlässt, wenn er auch das Gebäude bekommt. Er wollte nicht mieten. Das war für mich ein Dealbreaker. Ich war richtig geschockt. Zwei verlorene Jahre – und der Wert des Unternehmens war inzwischen stark geschrumpft. Ich musste schnell eine Alternative finden. Für mich war klar: Wenn ich will, dass es für meine Mitarbeiter weitergeht, dann muss ich das Unternehmen jetzt an einen Marktbegleiter übergeben.
Wie bist du vorgegangen?
Auf Empfehlung unseres Verbands habe ich den Kontakt zu einem langjährigen Freund aufgenommen, der als Verkaufsberater tätig ist. Er kennt alle Unternehmerinnen und Unternehmer in unserem Einkaufsverband und hat mich gefragt, mit wem ich mir eine Übernahme vorstellen könnte. Dann meinte er: ‚Gut, die ruf ich jetzt mal an.‘ Christopher Schaus, der Geschäftsführer der Wemag, hat sich zum Glück schnell darauf eingelassen: Im April haben wir unterschrieben, am 1. Juni hat er das Unternehmen übernommen. Ich kann nur sagen: Netzwerk ist king! Ich kenne Christopher seit mehr als 20 Jahren. Er will den Standort hier in Aschaffenburg stärken und bis nach Schweinfurt ausweiten, er ist eine gute Führungskraft und ein toller Unternehmer. Da bin ich sehr froh für meine Mitarbeiter.
Du klingst aufgeräumt. Gab es einen Tiefpunkt?
Kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr. Da war klar, dass es mit dem ersten Interessenten nichts wird. Es ging mir sehr schlecht. Ich habe mich gefragt: Was machst du jetzt? Schließt du für immer ab? Ich bin sehr froh über die Lösung, die wir nun gefunden haben. Aber natürlich ist es auch hart. Ich bin noch dabei, das alles zu realisieren.
Was rätst du anderen Unternehmerinnen und Unternehmern, die vor der Frage stehen, wie es mit ihrer Firma weitergehen soll?
Macht euch klar, dass der Verkauf keine Schande ist, sondern eine durchaus valide Option. Auch, wenn es sich erst einmal komisch anfühlt. Wichtig ist, sich von Anfang an professionelle Hilfe zu holen. Ich habe es ohne Berater versucht, das würde ich nie mehr machen. Sucht euch einen guten Anwalt, einen guten Steuerberater und jemanden, der den Prozess als Berater gut moderiert und im besten Fall auch beide Parteien kennt.
Wie geht für dich weiter?
Zunächst berate ich Wemag bis Ende des Jahres im Marketing, zu Nachhaltigkeit und überall dort, wo Unterstützung gebraucht wird, damit die Übergabe reibungslos verläuft. Und ich bleibe weiter Unternehmerin, nur in einer anderen Form: Ich will Unternehmen zu den Themen Social Media, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beraten und als Speakerin aktiv sein. Außerdem bin ich an Morpheus Logistik beteiligt, einem Unternehmen aus Lüdenscheid, das sich auf automatisierte Drohnentransporte spezialisiert hat. Unter meiner Führung soll nun ein neuer Standort in Aschaffenburg entstehen. Bislang habe ich mich augenzwinkernd immer so vorgestellt: ‚Ich bin Vanessa Weber und habe einen klassischen Frauenberuf. Ich bin Werkzeughändlerin und führe einen Handel für die metallverarbeitende Industrie in der vierten Generation.‘ Mal schauen, was ich in Zukunft sagen werden. Ich muss meine genaue neue Rolle noch finden. Aber ich werde unternehmerisch tätig bleiben.
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Haderst du mit deiner Entscheidung?
Viele haben mir dazu gratuliert. Ich selbst kann mir aber noch nicht sage: ‚Hast du gut gemacht.‘ Eher: ‚Ich habe entschieden, zu handeln – statt abzuwarten, bis nichts mehr übrig ist.‘ Die wirtschaftlichen Umstände waren schwierig, aber ich habe sicher auch Fehler gemacht. Vielleicht wäre es besser gewesen, auf Wachstum und Expansion zu setzen. Aber dann wäre ich mehr Risiken eingegangen. Ein riesiges Unternehmen wollte ich eh nie aufbauen. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ich habe die Arbeit für Werkzeug Weber geliebt, aber mein Herz hing nie an Werkzeug. Mir lag schon immer das Kreative. Deswegen freue ich mich jetzt, dass ich mich auf das konzentrieren kann, worin ich wirklich gut bin.
Wie hat deine Familie reagiert?
Ich habe mit meinem Vater natürlich viel geredet. Er wusste, dass wir einen strategischen Partner suchen und brauchen. Die Firma ist sein Lebenswerk, es ist sicher nicht leicht für ihn. Das Wichtigste war ihm aber immer, dass ich glücklich bin – ob mit oder ohne unser Unternehmen. Manchmal ist Loslassen kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Ich habe nicht aufgegeben, ich habe Platz gemacht für neue Ideen und neue Wege.
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