Fall 1: Wachstumsbremse Geschäftsmodell
Früher musste das Unternehmen Autarq jeden Tag einen enormen Aufwand betreiben, um potenzielle Kunden zu gewinnen. Bis ins Jahr 2022 fuhren vier Mitarbeiter des Herstellers von Solardachziegeln aus Prenzlau nördlich von Berlin täglich von Haus zu Haus, um neue Kunden auf sich aufmerksam zu machen.
Mit mäßigem Erfolg. Und das, obwohl der Markt für das Produkt von Autarq groß sein dürfte: Allein in Deutschland müssen in den nächsten 30 Jahren bis zu 15 Millionen Dächer saniert und mit neuen Ziegeln gedeckt werden. Hinzu kommen Millionen von Neubauten. Die Miniaturmodule von Autarq werden in Dachziegel integriert. Anders als bei normalen Solaranlagen sind sie auf dem Dach kaum sichtbar und kommen auch für denkmalgeschützte Gebäude infrage.
„Unser Wachstum war im B2C-Geschäft sehr stark begrenzt, weil der Vertrieb sehr personalintensiv war“, sagt Geschäftsführer Kai Buntrock. Der Fokus auf das Privatkundengeschäft bremste das Wachstum. Das war Buntrock, 50, schnell klar, als er 2021 ins Unternehmen kam. Gemeinsam mit Firmengründer Cornelius Paul, 52, machte er deshalb einen radikalen Schritt. Die beiden veränderten das Geschäftsmodell und richten sich heute primär an gewerblichen Kunden aus.
Das hatte einen enormen Effekt: Der Umsatz verdreifachte sich von 2022 auf 2023. Das gelang vor allem durch eine andere Strategie im Vertrieb und Marketing. Heute muss das Unternehmen sogar darauf achten, nicht zu viel Interesse für sein Produkt zu wecken, um die Nachfrage bedienen zu können.
Wechsel von B2C zu B2B
Statt Privatkunden abzuklappern, wendet sich Autarq seit 2022 direkt an Dachhandwerker. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter knüpften Kontakte zum Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks und zu Vertretern der Innungen in den Regionen. Sie schalteten Anzeigen in einschlägigen Medien des Dachhandwerks, waren mit einem eigenen Stand auf Messen und kontaktierten Architekten und Denkmalämter.
© Unternehmen Die beiden Geschäftsführer des Solarmodulherstellers Autarq, Kai Buntrock (l.) und Cornelius Paul, haben eine große Wachstumsbremse gelöst, die im Geschäftsmodell begründet lag. Anschließend hat sich der Umsatz verdreifacht.
Inzwischen haben 500 Dachhandwerksbetriebe das Produkt installiert und mit 250 weiteren bahnt sich ein Geschäft an. In einer neu gegründeten Akademie schulen Autarq-Mitarbeiter die Handwerker und begleiten sie, wenn sie ihr erstes Dach mit den Solardachziegeln decken. „Wir sind riesige Schritte bei der Markensichtbarkeit vorangekommen“, sagt Buntrock.
Dazu trug auch eine neue digitale Marketingstrategie bei. Autarq entwarf mithilfe einer Agentur eine komplett neue Website. „Früher standen dort sehr technisch geprägte Informationen und Daten“, erinnert sich der Geschäftsführer. Heute gibt es dort einen Konfigurator, mit dessen Hilfe Interessenten ihr eigenes Dach virtuell mit Solardachziegeln bestücken und sich ausrechnen lassen können, wie viel sie das Dachdecken mit den Ziegeln kosten würde. Den Konfigurator nutzen heute jeden Monat 20.000 Interessenten.
Autarq liefert ihnen online bereits viele Informationen, um ihnen eine Entscheidung zu erleichtern. Wenn sie sich schließlich an den Kundenservice wenden, liegt die Abschlussquote laut Buntrock bei 30 bis 40 Prozent. Das sorgt nicht nur beim Hersteller von Solardachziegeln für mehr Umsatz, sondern auch bei den mit Autarq vernetzten Dachdeckern, die so weitere Aufträge bekommen.
Seit 2022 produziert Autarq serienmäßig die vierte Produktgeneration. Als dieser Meilenstein erreicht war, gelang es, eine Kooperation mit den großen Dachziegelherstellern Jacobi und Creaton – heute Wienerberger – zu schließen. „Das ist eine Win-win-Situation für uns alle: Jacobi und Wienerberger konnten ihre Produktpalette erweitern und bekommen von uns Aufträge von Bauherren – und wir haben durch die Partnerschaft enorm an Reputation und Vertrauen in unser Produkt gewonnen“, sagt Buntrock. Die Ziegelhersteller vertreiben die Solardachziegel heute in Eigenregie über die Baustoffhändler an die Handwerker und Bauherren.
Nutzung neuer Vertriebskanäle
Die vielen Gespräche mit Architekten und Mitarbeitern von Denkmalschutzbehörden zahlen sich inzwischen aus. 2023 gelang Autarq ein großer Coup: Die Firma bekam den Zuschlag, das Dach einer großen, bekannten Klosteranlage in Würzburg mit mehr als 16.000 Solardachziegeln zu bestücken. Das habe sehr große Wellen geschlagen. „Wir waren DAS Gesprächsthema auf der Denkmalmesse 2024 in Leipzig“, sagt Buntrock. „Das hat zu einer enormen Nachfrage in diesem Spezialbereich Denkmal geführt.“ Inzwischen habe Autarq aus vielen Regionen in Deutschland Anfragen in ähnlich großen Dimensionen bekommen.
Die nächste große Herausforderung für Autarq ist nun, Geldgeber für das weitere Wachstum zu finden. „Wir könnten 25 bis 100 Millionen Euro investieren, um unsere Produktion zu erweitern“, sagt Buntrock. „Das wäre ein Befreiungsschlag.“ Die Produktionskapazität ist inzwischen die größte Wachstumsbremse für das Unternehmen mit heute 65 Mitarbeitenden. „Wenn die Nachfrage zu sehr steigt, besteht die Gefahr, dass wir nicht mehr schnell genug liefern können.“
Fall 2: Wachstumsbremse Fachkräftemangel
Als Tina Dammel 2009 gemeinsam mit ihrem Mann Jan Boese die Physiotherapiepraxis ihres Chefs übernahm, hätte sie nie für möglich gehalten, wie groß ihre Firma einmal werden würde. Die Praxis hatte damals 250 Quadratmeter, auf denen 14 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich um Patienten kümmerten.
An ihrem heutigen Standort in der Innenstadt von Rüsselsheim sind es 4500 Quadratmeter. Medifit bietet heute zudem nicht nur Physiotherapie an, sondern auch Logopädie, Ergotherapie – und betreibt ein großes Fitnessstudio. Der Umsatz stieg von 580.000 Euro im Jahr 2009 auf zuletzt rund 5 Millionen Euro.
Doch um immer mehr Therapiestunden anbieten und weiter wachsen zu können, fehlte der Firma aus Rüsselsheim vor allem eines: gute Mitarbeitende. „Wir stellen jedes Jahr um die 20 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein“, sagt Dammel, 44. „Aber es ist nicht so einfach, gute Leute zu finden.“
Der Mangel an Fachkräften war eine der größten Wachstumsbremsen für Medifit. Doch diese hat das Unternehmen gelöst – durch Recruiting über Social Media. Früher schaltete Medifit Stellenanzeigen auf der Branchenwebsite physio.de, wenn die Firma neue Mitarbeitende brauchte. „Das ist heute nicht mehr denkbar“, sagt die geschäftsführende Gesellschafterin.
Recruiting über Instagram
© Bert Bostelmann für impulse Die Firma Medifit von Tina Dammel (44) und Jan Boese (48) ist in den vergangenen 15 Jahren kräftig gewachsen. Mithilfe von Social Media gelingt es ihnen, ständig neue Angestellte zu rekrutieren. In den Kursräumen des Trainingszentrums trainieren ihre Kunden mit Medizinbällen, Sitzsäcken und Hanteln wie diesen.
Seit 2017 betreibt das Unternehmen eine Seite bei Instagram und postet dort jede Woche neue kurze Videos: mit Tipps, wie man richtig an bestimmten Fitnessgeräten trainiert, Clips aus dem Arbeitsalltag der Mitarbeitenden oder ein Video über die Müsli-Bar, die Dammel stets für ihre Beschäftigten bestückt. Bei Instagram erzählen Kunden, warum sie gerne bei Medifit trainieren. Und es gibt Infos über Events oder Rabattaktionen.
Bei der Mitarbeitersuche helfen aber vor allem andere Posts: Videos von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die erzählen, warum sie bei Medifit arbeiten. Sie berichten von ihrem Arbeitsalltag und was das Arbeiten in der Firma besonders macht. Eine Mitarbeiterin sagt in einem Video etwa: „Medifit bedeutet für mich Spaß und Familie. Ich kann mich hier weiterentwickeln, und wir werden dabei unterstützt mit schönen Fortbildungen.“ Eine andere Mitarbeiterin erzählt, dass das Gehalt bei Medifit immer transparent verhandelt wird und Geschäftsführer Jan Boese ihr genau aufgelistet hat, wie das Gehalt zustande kommt.
Neben dem Video steht der Hinweis, dass neue Mitarbeitende gesucht werden, sowie Folgendes: „Unsere Mitarbeiter sind der Herzschlag unseres Therapie- & Trainingszentrums MediFit in Rüsselsheim. In diesem Video erfährst Du, warum wir lieben, was wir tun – und wie unsere MediFit-DNA uns verbindet“.
Plattform für jüngere Mitarbeitende
„Das ist optimal gemacht“, sagt Marcus Wagner, Recruiting-Profi und Geschäftsführer der Firma Teamspirit aus Stuttgart. „Die Videos wirken locker und authentisch, und man kann hinter die Kulissen blicken.“ Über Instagram können Unternehmen vor allem eine jüngere Zielgruppe erreichen. „Für die bis zu 29-Jährigen ist es perfekt.“ Aber auch Menschen in den Dreißigern und Vierzigern nutzen noch die Plattform. Wichtig sei, dass die kurzen Videos – die sogenannten Reels – humorvoll und ein bisschen kreativer sind, sagt Wagner. „Das Beste sind kurze Fotos oder Reels aus dem Alltag.“
Was das Besondere an Medifit als Arbeitgeber ist, wird auf Instagram schnell klar: Mitarbeitende können interdisziplinär arbeiten und nicht nur etwa als Physiotherapeut, sondern zum Beispiel auch als Trainer im Fitnessstudio. Diesen Aspekt heben einige Mitarbeitende in den kleinen Videoclips hervor. „Das gehört zu unserer DNA. Und je besser ein Mitarbeiter vernetzt ist, desto länger bleibt er auch“, sagt Dammel.
Außerdem posten die Mitarbeitenden noch ganz andere Bilder auf Instagram, beispielsweise von einem Teamtag, der jedes Jahr stattfindet. Tina Dammel und Jan Boese binden die inzwischen gut 110 Beschäftigten in die Jahreszielplanung ein. Beim Teamtag überlegen alle Mitarbeitenden gemeinsam, was sie erreichen oder auch ändern wollen.
Erfolgsrezept Nahbarkeit
Alle diese Instagram-Aktivitäten sorgen dafür, dass Medifit viele Bewerbungen von Kandidaten bekommt, die gut ins Unternehmen passen, und offene Stellen zügig besetzen kann. „Wenn wir neue Leute einstellen, erzählen sie oft, dass sie schon vor dem Bewerbungsgespräch das Gefühl hatten, uns zu kennen“, erzählt Dammel. „Das hilft uns enorm, und wir können ganz oft auch Leute überzeugen, die eigentlich gar nicht auf der Suche nach einer neuen Stelle waren.“
Ein Hebel, um neue Leute zu finden, sind außerdem die eigenen Mitarbeiter: Wenn sie einen Kandidaten empfehlen und er eingestellt wird, bekommen sie einen Bonus von bis zu 2000 Euro. „Das kommt sehr gut an, und man kann sich sicher sein, dass sie jemanden Gutes empfehlen werden“, sagt Dammel.
Medifit ist außerdem eine der Stellen für die Praxisausbildung von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden in der Region. „Das ist für uns sehr wichtig, da wir uns als Arbeitgeber direkt bei potenziellen Mitarbeitern bewerben und uns gegenseitig kennenlernen können“, sagt Dammel. „Darüber haben wir viele Mitarbeitende im Therapiebereich gewonnen.“
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