Müssen Chefs Gebetspausen erlauben?

Der Mitarbeiter verschwindet mehrmals am Tag von seinem Arbeitsplatz. Er geht nicht etwa rauchen, sondern beten. Müssen Chefs solche Gebetspausen während der Arbeitszeit hinnehmen? The post Müssen Chefs Gebetspausen erlauben? appeared first on impulse.

Apr 24, 2025 - 10:57
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Müssen Chefs Gebetspausen erlauben?
Eine Situation, die Fingerspitzengefühl erfordert: Man will ein dringendes Problem mit seinen Mitarbeitern besprechen, doch mitten in der Sitzung steht ein Kollege auf, um pünktlich beten zu gehen – das schreibe ihm seine Religion vor, sagt er. Das Problem: Ohne ihn kommt das Team in der Besprechung nicht voran. Diese Situation wiederholt sich, denn besagter Mitarbeiter geht mehrmals täglich zum Gebet, immer zu unterschiedlichen Zeiten. Freitags macht er eine besonders lange Mittagspause, weil er die Moschee besucht – er ist Muslim. Darf der Chef seinen Angestellten auffordern, das Gebet zu verschieben? Darf er das Beten sogar verbieten, wenn wichtige Termine anstehen? Und was, wenn der Mitarbeiter sich weigert, seine Gebete in die Freizeit zu verlagern? Diese Fragen stellen sich besonders bei muslimischen Mitarbeitern, denn praktizierende Muslime beten fünfmal täglich. So schreibt es ihnen der Koran vor. Die Gebetszeiten richten sich nach dem Sonnenstand und verschieben sich jeden Tag um wenige Minuten. Gleichbleibende Zeitpunkte, zu denen ein muslimischer Mitarbeiter betet, gibt es also nicht. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es zu Gebetspausen? „Im Gesetz gibt es keine konkreten Regelungen zu Gebetspausen“, sagt Asma Hussain-Hämäläinen, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Entsprechende Bestimmungen können aber in Einzelverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen stehen. „Solche vertraglichen Regelungen lohnen sich, wenn es eine große Gruppe im Unternehmen gibt, die das Thema betrifft“, sagt Hussain-Hämäläinen. Gibt es keine Regelungen im Vertag, gelten „die allgemeinen arbeitsvertraglichen Grundsätze“. Was bedeutet das? „Im Allgemeinen ist der Arbeitnehmer berechtigt, ein Gebet abzuhalten und die Arbeitsleistung kurz zu unterbrechen“, sagt Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Hensche. Schließlich gilt die Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes auch am Arbeitsplatz. „Prinzipiell müssen Arbeitgeber auf die religiösen Belange ihrer Arbeitnehmer Rücksicht nehmen“, sagt Hussain-Hämäläinen. „Ein Unternehmen ist kein religionsfreier Raum, die Religion legt man nicht an der Pforte ab.“ Dennoch gilt die Religionsfreiheit am Arbeitsplatz nicht uneingeschränkt. Wollen Mitarbeiter ihren Glauben während der Arbeitszeit ausüben, dürfen sie dabei ihre vertraglich festgelegten Pflichten nicht verletzen, so Asma Hussain-Hämäläinen. Wann dürfen Chefs verlangen, dass der Mitarbeiter sein Gebet verschiebt? Im Januar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass Vorgesetzte nicht verpflichtet sind, Gebetspausen während der Arbeitszeit zu akzeptieren, wenn dadurch betriebliche Störungen verursacht werden (Az.: 5 Sa 1782/01). Welche Störungen berechtigen Chefs, Gebetspausen zu verbieten? „Arbeitnehmer dürfen nicht den Betrieb zum Stillstand bringen, wenn sie durch das Beten Arbeitsprozesse lahmlegen oder ihre Abteilung nicht weiterkommt“, sagt Hussain-Hämäläinen. Im Prozess am Landesarbeitsgericht Hamm ging es um einen Muslim, der an einer Beschichtungsanlage arbeitete und eine dreiminütige Gebetspause zwischen sechs und acht Uhr morgens verlangte. Weil dabei aber der Maschinenbetrieb erheblich gestört würde, entschied das Gericht gegen ihn. Beeinträchtigt das Fehlen des Mitarbeiters die Arbeitssicherheit oder den betrieblichen Frieden, muss der Angestellte auf sein Gebet verzichten oder es später nachholen – das Gebet nachzuholen ist im Islam zulässig, so Fachanwältin Hussain-Hämäläinen. Das gilt übrigens auch für das jährliche Fasten im Islam, den Ramadan. Bei kleineren Störungen sieht es anders aus. „Wenn man mal einen Telefonanruf verpasst, kann ein Kollege einspringen“, sagt Martin Hensche. Fälle, in denen Arbeitgeberinnen das Gebet verbieten dürfen, sind eher selten, so der Rechtsanwalt. Müssen Mitarbeiter ihren Chef über Gebetspausen informieren? Mitarbeiter dürfen nicht heimlich zu regelmäßigen Gebeten verschwinden. Chefs haben einen Anspruch darauf, über Gebetspausen informiert zu werden. Im Februar 2002 urteilte das Landesarbeitsgericht Hamm, dass ein Mitarbeiter seinem Chef Bescheid geben muss, wenn er während der Arbeitszeit betet (Az.: 5 Sa 1582/01). „Tut er das nicht, riskiert er eine Abmahnung und im Wiederholungsfall eine Kündigung“, sagt Hussain-Hämäläinen. Müssen Chefs Gebetspausen bezahlen? Nach § 616 BGB haben Mitarbeiter bei kurzen Pausen Anspruch auf Bezahlung, wenn die Pause aus persönlichen Gründen stattfindet, die der Mitarbeiter nicht selbst verschuldet. Das ist bei religiösen Ritualen der Fall. „Diese Vorschrift kann aber auch abgedungen werden“, sagt Hensche. „Das ist zum Beispiel interessant, wenn man einen großen Betrieb mit vielen muslimischen Angestellten führt. In den Betriebsvereinbarungen müsste man dann festlegen, dass Mitarbeiter sich zu Gebetspausen freistellen lassen dürfen – aber nicht gegen Bezahlung.“ Grundsätzlich gilt: Wer bezahlte Kaffee- und Raucherpausen zulässt, sollte Gläubigen nicht verbieten zu beten. Mehr zum Thema Krankmeldung Diese Rechte haben Arbeitgeber, wenn Mitarbeiter krank sind Vaterschaftsurlaub 2025 Was du zum Thema Vaterschaftsurlaub 2025 wissen solltest: der aktuelle Stand Was tun, wenn sich der Mitarbeiter weigert, das Gebet später nachzuholen? Weigert sich ein religiöser Mitarbeiter, sein Gebet zu verschieben, obwohl er damit den Betrieb oder die Betriebssicherheit stört, kann eine Abmahnung ausgesprochen werden. Tritt dieses Verhalten wiederholt auf, ist eine Kündigung möglich. „Dabei muss es sich aber um erhebliche betriebliche Störungen handeln“, sagt Hensche. Wie findet man heraus, ob ein Bewerber oder Mitarbeiter gläubig ist? Fragen im Vorstellungsgespräch dürfen sich nicht auf die Religion eines Bewerbers beziehen, sagt Hussain-Hämäläinen. „Auf solche unerlaubten Fragen müssen Bewerber nicht antworten, sie dürfen sogar lügen.“ Bei einer Einstellung sieht es schon anders aus: Müssen Arbeitgeber wegen steuerlicher Merkmale wissen, ob der neue Mitarbeiter gläubig ist (Stichwort: Kirchensteuer), dürfen sie ihn nach seiner Religion fragen, so Hensche. Wenn sich herausstellt, dass der neue Mitarbeiter seinen Glauben verheimlicht hat und während der Arbeitszeit religiöse Rituale ausübt, die seine Leistung beeinträchtigen, wird es problematisch für ihn. „Dann kann der Arbeitgeber unter Umständen mit einer personenbedingten Kündigung reagieren“, sagt Hussain-Hämäläinen. Richter entscheiden eher pro Religionsfreiheit Grundsätzlich neigt das Bundesarbeitsgericht bei Konflikten mit der Religion am Arbeitsplatz dazu, pro Religionsfreiheit zu entscheiden, so Hussain-Hämäläinen. Im Zweifelsfall heißt es: Der Glaube der Mitarbeiter sollte respektiert und Gebetspausen erlaubt werden – insbesondere in Unternehmen, die Raucherpausen dulden. Beten Mitarbeiter zu wirklich ungünstigen Zeitpunkten, sollten Vorgesetzte ein persönliches Gespräch suchen und gemeinschaftlich eine Lösung finden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es für den Mitarbeiter vielleicht kein Problem, das Gebet zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.

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