Da sitzt sie, die Unfähigkeit in Person, schwitzend, eingeschüchtert, nicht imstande, ordentliche Arbeit abzuliefern – es soll ja Chefs geben, die so über Mitarbeitende denken. Die manchem nichts, aber auch wirklich gar nichts zutrauen. Vielleicht ist aber nicht der Beschäftigte das Problem, sondern die Führungskraft selbst. Dahinter steckt ein psychologisches Phänomen, der Golem-Effekt: Wenn von jemandem nichts erwartet wird, dann leistet er auch weniger.
Der Golem-Effekt – einfach erklärt
Es reicht ein Satz – „Die Aufgabe ist nichts für dich“ – ein schiefer Blick, das Lesen einer Mail, während die Person in der Konferenz spricht. Subtile Signale durch Mimik und Gestik, die das Selbstvertrauen des Mitarbeitenden angreifen. Die Folge: Er wird sich künftig mit Ideen zurückhalten, auch mit den guten. Er zweifelt an seiner Kompetenz, Probleme zu lösen.
„Die Leistung leidet dann signifikant. Und das, obwohl die Person vielleicht über die notwendigen Fähigkeiten verfügt“, sagt Ingrid Gerstbach, Wirtschaftspsychologin und Unternehmensberaterin. Sie schult Betriebe im Design Thinking, einer strukturierten Methode, um Lösungen zu erarbeiten. Den Golem-Effekt bemerkt sie dabei häufig.
Wie der Golem-Effekt entsteht
„Die meisten Chefinnen und Chefs merken es gar nicht, wenn sie nichts von einem Mitarbeiter halten“, sagt Gerstbach. Niemand sei nun mal frei von Subjektivität und Stereotypen. „Wir alle haben bestimmte Vorstellungen und Bilder, die wir unbewusst auf Menschen projizieren.“ Der Ingenieur, der dem gelernten Buchhalter die Kreativität abspricht. Der Chef, der seiner Mitarbeiterin das technische Know-how nicht abkauft.
Es kann auch sein, dass Hierarchien den Effekt verursachen, sagt Gerstbach. Oft stiegen diejenigen zu Führungskräften auf, die sich fachlich bewiesen hätten – und dann insgeheim glaubten, dass sie es besser wüssten.
Führungskräfte sind nicht immer der Auslöser. Innerhalb von Teams kommt es auch vor, dass ein Mitarbeiter nichts vom anderen hält und so dessen Leistung beeinträchtigt. Gerstbach: „Da geht es meistens ganz klassisch um Wettbewerb. Mitarbeiter versuchen, sich gegenseitig auszustechen.“
Die Forscher Elisha Babad, Zvi Inbar und Robert Rosenthal haben den Golem-Effekt in den 1980ern entdeckt. Rosenthal, ein Psychologe, hatte schon Jahre zuvor die gegenteilige Wirkung nachgewiesen, bekannt als Pygmalion-Effekt: Menschen leisten mehr, wenn man mehr von ihnen erwartet. Dann wollte er wissen, ob es auch umgekehrt funktioniert. Bei einem Experiment fragte er Lehrkräfte nach ihren schwächsten Schülerinnen und beobachtete dann, dass ebendiese Schüler weniger Aufmerksamkeit bekamen und seltener gefördert wurden. Die Schüler waren schlecht, weil die Lehrer sie für unfähig hielten. Die gleiche Dynamik, die in vielen Büros zu sehen ist.
Woher kommt der Name „Golem-Effekt“?
Der Name entstammt der jüdischen Mythologie. Ein Golem ist dort ein von Menschen geformtes Wesen aus Erde oder Lehm. Es wurde erschaffen um zu helfen, doch es konnte auch zum Monster verkommen.
Wie du den Golem-Effekt vermeidest
„Natürlich ist es die Aufgabe als Führungskraft, das Beste aus den Mitarbeitern herauszuholen und nicht das Schlechteste“, sagt Gerstbach und gibt Tipps, wie das gelingen kann – besonders dann, wenn die Führungskraft einem Teammitglied gegenüber voreingenommen ist.
1. Eigene negative Gedanken hinterfragen
Der Alltag ist hektisch, aber trotzdem sollten sich Führungskräfte etwas Zeit nehmen, über ihre Mitarbeitenden nachzudenken. „Hinterfrage dich bewusst. Ist die Leistung des Mitarbeiters so schlecht, wie du glaubst? Woher kommen deine schlechten Gedanken?“, rät Gerstbach. Mag sein, dass die Person mal ein wichtiges Projekt vergeigt hat und das dein Denken über sie prägt – obwohl sie sonst gute Arbeit macht. Oder sie hat sich in den ersten Wochen mal im Ton vergriffen. Denke darüber nach, ob solche Erfahrungen tatsächlich etwas über die Leistung aussagen.
Ein praktischer Trick, um die eigene Perspektive zu justieren: Schreib eine kurze Erfolgsgeschichte über die Person – zehn Minuten, drei Stärken oder Beiträge, die sie geleistet hat. Es geht dabei nicht ums Schönreden, sondern um eine gezielte Verschiebung des Blicks. Das Gehirn gewichtet Fehler stärker als Erfolge. Diese Eigenart kann man aushebeln, wenn man positive Aspekte aufschreibt.
Noch kürzer geht es mit einem Satz, den man im Stillen vor sich hersagen kann. Kommt ein negativer Gedanke, etwa „Der kann das eh nicht“, ersetze ihn durch: „Ich habe noch nicht alle Seiten seiner Fähigkeiten gesehen.“ Die Vorurteile verfestigen sich dann nicht.
2. Stärken finden und stärken
Was, wenn die Person wirklich vieles vergeigt? „Ja, das soll es geben“, sagt Gerstbach. Aber sie hält es für unwahrscheinlich, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter wirklich gar kein Potenzial hat. Wahrscheinlich gibt es Aufgaben, die die Person gut hinbekommt – was deren Führungskraft aber längst als selbstverständlich ansieht. Gerstbach empfiehlt, denjenigen in genau diesen Bereichen zu fördern und so seine Stärken zu stärken. Die Mitarbeiterin im Marketing hat super Ideen – wenn es ums Organisieren geht, ist sie eine Katastrophe? Dann zieh sie vom Projektmanagement ab und gib ihr kreativere Aufgaben.
Wenn alles nichts hilft, braucht es laut Gerstbach Ehrlichkeit. „Manchmal ist jemand im aktuellen Job schlicht nicht richtig aufgehoben.“ Und dann die Kündigung? Gerstbach sagt, erst einmal sollte man sich fragen, ob es nicht eine völlig andere Abteilung gibt, in der diese Person aufblühen könnte. Vielleicht wäre die Projektmanagerin ja gut im Vertrieb aufgehoben, konnte sie nicht immer gut mit Menschen? Gerstbach sagt: „Erst wenn du systematisch geprüft hast, dass wirklich kein sinnvoller Einsatz möglich ist, und wenn die Person auch nicht bereit oder fähig ist, sich in neuen Kontexten zu entwickeln, kann eine Kündigung ein fairer und notwendiger Schritt sein – im Interesse beider Seiten.“ Sie mahnt dann zu Respekt. Kündigen, nicht, weil der Mensch versagt hat, sondern weil es nicht mehr passt.
3. Mit voreingenommenen Teammitgliedern sprechen
Vielleicht merkst du, dass sich eine Mitarbeiterin aus dem Team zurückzieht und nicht mehr ordentlich mitarbeitet. Und du vermutest, ein Kollege könnte der Auslöser sein, weil er seiner Kollegin nichts zutraut. „Bitte den Kollegen zum Vier-Augen-Gespräch und prüfe, ob der Verdacht überhaupt berechtigt ist. Findest du Belege dafür, dass er schlecht von der Kollegin denkt? Falls ja, frage nach Fakten dafür, dass die Kollegin wirklich schlechte Arbeit abliefert“, sagt Gerstbach. Im besten Fall überdenkt der Kollege seine Haltung und die Dynamik wird unterbrochen.
Dabei solltest du das Gespräch nicht konfrontativ führen. „Direkt zu fragen ‚Denkst du schlecht über deine Kollegin?‘ führt fast immer in eine Verteidigungshaltung.“ Gerstbach empfiehlt, zu schildern, was du beobachtet hast. Zum Beispiel: „Mir ist aufgefallen, dass die Zusammenarbeit zwischen dir und Kollegin X in letzter Zeit etwas angespannter wirkt. Wie erlebst du das?“
Taste dich dann langsam vor. Frage, ob er etwas an ihrer Arbeitsweise wahrnimmt, das schwierig ist. Wo läuft es gut, wo weniger? Wenn der Kollege konkrete Verhaltensweisen benennen kann, hat er vielleicht einen Punkt. Oder aber er verliert sich in pauschalen Urteilen. Das könnte der Golem-Effekt sein.
„Um solche Dynamiken zu durchbrechen, hilft es, bewusste Gegenimpulse zu setzen. Etwa indem der Kollegin eine Aufgabe übertragen wird, in der sie ihre Stärken sichtbar machen kann – möglichst in einem Bereich, bei dem der skeptische Kollege direkt involviert ist.“ Es mag ihm erstmal nicht gefallen, aber später könnte er überrascht sein, wie gut die Zusammenarbeit klappt.
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Besucht Gerstbach ein Unternehmen und bemerkt innerhalb eines Teams den Golem-Effekt, arbeitet sie gezielt dagegen. „Als Coachin betone ich: Du hast besonders begabte Mitarbeiter“. Dann hebt sie die Stärken hervor: Die eine ist besonders kommunikationsfähig. Und hat die andere nicht eine tolle kreative Ader? So versucht sie, Führungskräften eine positive Sicht auf ihre Beschäftigten zu geben. Und im besten Fall, den gegenteiligen Effekt zu erzeugen: Hohe Erwartungen und damit bessere Arbeitsergebnisse.
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