Handys sind langweilig geworden – gut so!

Auch wenn Smartphone-Hersteller anderes behaupten – die Zeit der großen Innovationen ist vorbei. Das muss jedoch nichts Schlechtes sein, im Gegenteil.

Mai 8, 2025 - 11:38
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Handys sind langweilig geworden – gut so!

Auch wenn Smartphone-Hersteller anderes behaupten – die Zeit der großen Innovationen ist vorbei. Das muss jedoch nichts Schlechtes sein, im Gegenteil.

Ein Kommentar von Frank Ritter – oben im Video oder ab hier in Textform.

YouTuber Plankton hat unlängst ein Video veröffentlicht, in dem er postuliert: Handys sind ein bisschen lame geworden. Stimmt. Das ist aber nichts Schlechtes.

Seit 2010 teste ich beruflich Smartphones in Text und Video, auch vorher habe ich schon Custom ROMs auf Windows-Mobile-PDAs geflasht. Mit knapp 20 Jahren Smartphone-Erfahrung lässt sich leicht feststellen: Die Zeiten sind heute anders als, sagen wir, 2010. Die Frage ist: Sind sie heute wirklich schlechter? Lasst euch nicht den Blick von Nostalgie trüben.

Der technische Fortschritt bei Smartphones stagniert seit einigen Jahren, darin hat Plankton recht. Aber woran liegt das? Daran, dass Handys heute gut genug geworden sind.

2010 waren Smartphones erst einmal entsetzlich mies. Anders formuliert: Es gab viele Verbesserungspotenziale. Jedes Jahr wurde „Rückbau“ an dieser Miesheit betrieben – das war der Grund, warum Handys von Jahr zu Jahr gigantische Sprünge machten. Wer, wie ich, ein Jahr lang ein Samsung Galaxy S1 benutzt hatte und dann aufs Galaxy S2 wechselte, bekam ein völlig neues Handy-Erlebnis.

Mehr Marktteilnehmer, mehr Wettbewerb, mehr Ideen

In den Zehnerjahren fieberten wir jedem neuen Handy-Release entgegen. Der Markt war offener, es gab mehr relevante Player: neben Apple und Samsung unter anderem HTC, LG, Sony (deren Smartphones noch eine Rolle spielten), Huawei, die sich binnen weniger Jahre von einem obskuren Nischen-Handyhersteller zu einem globalen Innovationstreiber entwickelten, Google, die die Nexus-Geräte mit immer wechselnden Partnern gebaut haben, OnePlus mit ihren „Flagship-Killern und viele mehr! Es war ein brutaler Wettbewerb. Aber der hat Innovation befördert.

Um sich abzugrenzen, probierten die Hersteller Dinge aus. Manche sind geblieben, ein gutes Beispiel ist Samsungs Note-Reihe mit ihren großen Displays und dem Stylus, die heute in der Galaxy-S-Ultra-Reihe fortleben. Die in den Xperia-Smartphones von Sony-Ericsson eingeführte Wasserdichtheit ist heute überall Standard, die Stereo-Lautsprecher im legendären HTC One M7 waren eine Ohrenweide, heute normal – und so weiter.Präzise gefräste Metallkanten und ein Sound, der seinesgleichen suchte: Das HTC One M7 von 2013 hat Smartphones vorangebracht.

Manche Ideen hatten aber auch keine Zukunft, etwa die 3D-Displays im HTC Evo 3D und LG Optimus 3D. Überhaupt, LG, was die alles ausprobiert haben! Konkave Bauformen wie im LG G Flex, das modulare LG G5, das LG G3 mit Lederrückseite und WQHD-Auflösung, das bizarre LG Wing mit Schwenk-Bildschirm und das audiophile LG V40 ThinQ. Auch wenn nicht alle Ideen fruchteten – es ist schade, dass LG keine Smartphones mehr baut.

Aber auch Basteleien haben damals richtig viel gebracht. Jailbreak und Root, neue Oberflächen durch Launcher Pro und Nova, Custom ROMs und modifizierte Kernels von XDA oder gar eine komplette alternative Firmware-Distribution wie CyanogenMod. Was haben wir damals unternommen, nur damit sich das Smartphone „silky smooth“ anfühlt. Das war auch ein Riesenspaß – auch wenn man dabei hin und wieder aus Versehen sein Smartphone „gebrickt“ hat.Das Samsung Galaxy S2 wurde mit Custom ROMs, wie hier CyanogenMod, noch besser. (© Frank Ritter / GIGA.DE)

Und heute? Smartphones sind einfach da, der Spaß ist weg. Überspitzt formuliert, aber grob ist das schon so. Warum? Weil Handys gut genug sind. Weil sich im Wettbewerb der Ideen die besten herauskristallisiert und durchgesetzt haben.

Handys machen keinen Spaß mehr – weil sie gut genug geworden sind

Das gilt übrigens nicht nur für Hardware, sondern auch Software. Die Änderungen bei Android und iOS sind heute auch bei großen Versionsschritten gering, die beiden großen Mobil-Betriebssysteme gleichen sich immer stärker an. Die Android-„Färbungen“ der unterschiedlichen Hersteller sehen zwar unterschiedlich aus, sind im Funktionsumfang trotzdem sehr ähnlich.

Verständlich, dass mancher der Vielfalt und Experimentierfreude von einst nachweint. Dafür haben wir aber heute die Sicherheit, dass man in einen MediaMarkt gehen kann, sich ein Handy für 300 Euro holt und weiß: Das ist keine Grütze. Oder ein Handy für 1000 Euro, bei dem klar ist: Für die nächsten vier Jahre reicht das. Ich würde sagen: Das ist eine Errungenschaft.

Wenn man also ein Samsung Galaxy S24 und ein S25 vergleicht, so wie Plankton, macht man eigentlich einen Fehler. Denn wer sich letztes Jahr ein neues Smartphone gekauft hat, der wird dieses Jahr kein Neues wollen – weil er es auch nicht braucht.

Die Hersteller sind in einer Zwickmühle, weil sie trotzdem Handys verkaufen wollen und dafür, warum auch immer, knallhart an ihren jährlichen Veröffentlichungszyklen festhalten. In den Gerätevorstellungen wird dabei stets das Schlagwort der INNOVATION hochgehalten.

Ehrlich gesagt: Ich kann’s nicht mehr hören. Innovation ist ein absolutes Nullwort geworden. Man hat das Gefühl, dass der Begriff in der Werbung umso stärker benutzt wird, je weniger Innovation tatsächlich in den Geräten steckt. Die Zeit der großen Smartphone-Experimente ist einfach vorbei. Ein 5 % stärkerer Prozessor, ein neuer Button und eine frische Gehäusefarbe sind keine Innovationen.LG WingDas LG Wing von 2020 war experimentierfreudig, aber letztlich ein Fehlschlag.

KI als Kaufgrund? Wohl kaum.

Man könnte natürlich argumentieren, dass die Welle an KI-Anwendungen und -Integrationen innovativ sind – sie nimmt ja derzeit ziemlichen Raum im Marketing für neue Smartphones ein. Aber: Der KI-Kram läuft in der Regel nicht einmal auf dem Gerät selbst, sondern über einen angebundenen Cloud-Dienst. Und so viel besser haben an mein Smartphone getackerte GenAI-Erweiterungen mein Leben bis jetzt auch nicht gemacht. Für mich sind die schlicht kein Kaufargument.

Wir sollten uns verabschieden von der Vorstellung, dass Smartphones von heute auf morgen besser werden und auch davon, dass wir ständig ein Neues brauchen. Für unseren Planeten ist es definitiv besser, wenn Handys nicht mehr nach einem Jahr obsolet sind.

Ein anderer Blickwinkel

Und wenn wir uns davon verabschiedet haben, können wir auch wieder die kleineren Entwicklungen wertschätzen, die in den letzten Jahren bei Smartphones passiert sind. Denn wenn man den Zeitraum etwas erweitert, sieht man durchaus, dass in den letzten Jahren vieles besser geworden ist.USB-C überall – sogar beim iPhone! Handys leben länger. Sie sind widerstandsfähiger gegen Wasser, Staub, Kratzer und Stürze, können einfacher repariert werden, werden länger mit Updates versorgt, und Akkus haben eine längere Gesamtlebenszeit. Enorme Akkulaufzeiten. Freute man sich in den Zehnerjahren noch, wenn das Smartphone 12 Stunden von morgens bis abends durchhielt, sind heute Laufzeiten von zwei Tagen oder mehr keine Seltenheit. Den Akku nachzuladen ist, vor allem bei chinesischen Marken wie OnePlus, Honor und Xiaomi, extrem schnell geworden. Von 0 auf 80 % in unter 15 Minuten und kabelloses Laden haben sich da durchgesetzt – zumindest in der Oberklasse. Günstige Smartphones sind gut geworden. Klar, es gibt immer noch Gurken, aber wer sich informiert, kann ein echt brauchbares Telefon ab 150, 200 Euro bekommen. Beim Design wird wieder mehr gewagt, selbst wenn der „Vegan Leather“-Trend ein bisschen albern ist. Aber die Dominanz der schnöden Glasriegel neigt sich langsam dem Ende zu. Schaut euch an, wie interessant Handys wie das Xiaomi 15 Ultra oder das Nothing Phone 3a aussehen. Bei den Kameras ist Lowlight mittlerweile ein gelöstes Problem. Jetzt setzen sich Extra-Zoomlinsen durch, die fantastische neue Perspektiven ermöglichen. Displays sind gut geworden: Einerseits enorm hell, andererseits zeigt praktisch jedes aktuelle Smartphone über 200 Euro Animationen butterweich in 120 Hz (abgesehen vom iPhone 16).

Das hat alles weniger mit Innovation im Sinne von Disruption zu tun als mit gradueller Weiterentwicklung und Verfeinerung. Das mag zwar langweilig sein, ist aber nicht das Schlechteste und macht dann, wenn man die Entwicklung über mehrere Jahre betrachtet, eben doch einen großen Unterschied aus.