Du betrittst den Raum, plötzlich scheinen alle Gespräche zu verstummen – und du hast das Gefühl, es wird konzentrierter getippt und geschraubt. Ein möglicher Grund dafür ist der sogenannte Hawthorne-Effekt. Wer versteht, was dahintersteckt und wie er sich diesen zunutze machen kann, fördert die Produktivität, Motivation und Leistung seiner Mitarbeitenden.
Der Hawthorne-Effekt: Einfach erklärt
Zwischen 1924 und 1933 untersuchte ein US-amerikanisches Forscherteam, wie sich verschiedene Arbeitsbedingungen auf die Produktivität von Arbeitern auswirken würden. Ihre Beobachtung: Egal, ob sie etwa das Licht heller oder dunkler einstellten, die Pausenzeiten verlängerten oder verkürzten – die Produktivität der Mitarbeitenden stieg immer. Entscheidend für die Leistungssteigerung war also nicht, was verändert wurde, sondern dass überhaupt etwas geschah. „Die Untersuchung illustrierte: Menschen verhalten sich anders, wenn sie glauben, dass sie beobachtet werden“, sagt Professor Dr. Achim Wortmann, der an der Northern Business School Hamburg Wirtschaftspsychologie lehrt. Dieses psychologische Phänomen heißt Hawthorne-Effekt.
Woher stammt der Name „Hawthorne-Effekt“?
Das psychologische Phänomen wurde in den 1950er Jahren nachträglich nach dem Ort benannt, an dem es die Forschenden in den 1920er Jahren beobachtet hatten: den Hawthorne-Fabriken der Western Electric Company in der Nähe von Chicago.
Das steckt hinter dem Hawthorne-Effekt
Das Spannende an der Hawthorne-Studie: Den Forschenden zufolge lag die gesteigerte Produktivität nicht an dem Gefühl, kontrolliert zu werden. Sondern an dem Gefühl, über die Untersuchung Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu erfahren. In den Interviews, die die Studienleitenden führten, gaben einige Mitarbeitende sinngemäß an: Seit über 30 Jahren hätten sie im Betrieb gearbeitet – und noch nie habe sich jemand ernsthaft Gedanken über ihre Arbeitsbedingungen gemacht. Für sie sei es daher Ehrensache, sich extra ins Zeug zu legen, wenn sich schon jemand so um sie sorgte.
Für Wirtschaftspsychologe Wortmann eine nachvollziehbare Reaktion: „Menschen haben das Bedürfnis, als Individuum wahrgenommen zu werden. Zugleich möchten sie Teil einer Gruppe sein – und wünschen sich, dass es dieser Gruppe gutgeht. All diese Bedürfnisse haben die Forschenden befriedigt, indem sie die Arbeitsbedingungen der Einzelnen und der Gruppe in den Blick nahm.“
Das bedeutet Wortmann zufolge: Schenken Führungskräfte Einzelnen und der Gruppe Aufmerksamkeit, schafft das Vertrauen und Zugehörigkeit – und das wiederum führt in der Folge zu höherer Motivation und gesteigerter Leistung.
So macht dich der Hawthorne-Effekt zu einer besseren Führungskraft: 7 Tipps
Um mithilfe des Hawthorne-Effekt die Leistung im Team zu steigern, gilt es über Aufmerksamkeit Vertrauen aufzubauen – ohne in die Rolle des kontrollierenden Mikromanagers abzudriften. Mit den folgenden Tipps klappt’s leicht.
„Wie“- statt „Was“-Fragen stellen: Im Arbeitsalltag geht es meist um Ergebnisse, Kennzahlen, Leistung. Chefs und Chefinnen fragen entsprechend häufig danach, was Mitarbeitende gerade tun. Besser wäre es laut Wortmann, zu fragen, wie sie sich bei der Arbeit fühlen. „So rücken Führungskräfte die Person selbst in den Vordergrund und nicht die reine Nützlichkeit der Arbeit.“
Gestaltungsfreiraum geben: „Was könnte ich tun, damit du im Urlaub richtig abschalten kannst?“ Wer seine Mitarbeitenden konkret nach ihren Bedürfnissen fragt und sie in Entscheidungen einbezieht, gibt ihnen das Gefühl: „Ich sehe dich als Mensch und deine Situation.“ Und macht damit genau das, was die Forschenden für die Hawthorne-Studie taten.
Arbeitsumfeld verschönern: Fühlen sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohl, arbeiten sie Studien zufolge lieber dort – und produktiver. Das bedeutet: Ist das Büro bislang eher grau, könnten Bilder an der Wand, eine neue Farbe und ein paar Pflanzen schon genügen, um den Hawthorne-Effekt auszulösen. Auch ein Bürohund hat der Forschung zufolge eine positive Wirkung.
Persönliche Gespräche führen: Führungskräfte sollten auch abseits vom Arbeitsalltag Interesse für ihre Teammitglieder demonstrieren. „Je konkreter sie fragen und je aufmerksamer sie zuhören, desto besser“, empfiehlt Experte Wortmann. Dabei gehe es nicht darum, das Geburtsdatum aller Kinder der Angestellten zu kennen. Wer aber etwa mitbekomme, dass die Mutter eines Angestellten erkrankt sei, könne sich durchaus regelmäßig erkundigen, wie es ihr gehe. Und damit zeigen, wirklich interessiert und aufmerksam zu sein.
Sich nahbar zeigen: Als Führungskraft nicht nur zuzuhören, sondern auch etwas von sich selbst preiszugeben, kann Nähe schaffen. „Dabei sollte aber ein Fehler vermieden werden: der, zu sehr auf die Senden-Taste zu drücken“, rät Wortmann. Wer Gesagtes nur zum Anlass nähme, das Gespräch auf sich selbst zu lenken, wirke eher egoistisch als interessiert.
Offene Fehlerkultur pflegen: In Gesprächen über Fehler geht es häufig um die Schuldfrage. Spannender, laut Wortmann, ist herauszufinden: Warum ist der Fehler passiert? Also zu ergründen: Wie geht es dem entsprechenden Teammitglied? Welche Ursachen könnten den Fehler erklären – gibt es eventuell Stress zuhause, wie etwa eine Belastung durch kranke Angehörige?
Stärken fördern: Eine individuelle Weiterbildung zu ermöglichen, ist zentral, wollen Führungskräfte vom Hawthorne-Effekt profitieren. Wenn etwa der zunehmende Einsatz von KI das Arbeitsumfeld von Mitarbeitenden stark verändert, hilft es, aktiv nachzufragen, wie eine ideale Fortbildung für das Teammitglied aussehen könnte. Etwa, indem die Führungskraft die Mitarbeitenden fragt, ob diese Lust hätten, sich in dem Bereich nach einem Seminar oder einer Tagung umzuschauen Das zeigt Wortmann zufolge echtes Interesse und Fürsorge. Der Vorteil für die Führungskraft: Mitarbeitende, die kontinuierlich lernten, fühlten sich nicht nur sicherer, sie brächten auch neue Impulse ins Unternehmen und blieben der Firma länger treu.
So vermeidest du typische Fehler
Wer sich gesehen fühlt, arbeitet besser – diese Gleichung hinter dem Hawthorne-Effekt führt viele Führungskräfte Wortmann zufolge zu einem falschen Schluss: Sie nehmen das mit dem Beobachten zu wörtlich. Da tigere dann die Chefin regelmäßig durch die Werkstatt und überprüfe der Chef jeden Posten der Buchhaltung. Diese Form von Mikromanagement sei für die Beziehung zwischen Führungskraft und Team „ein echtes Desaster“. Wortmann: „Kontrolle ist das genaue Gegenteil von Vertrauen. Bei den Mitarbeitenden kann so das Gefühl von Lustlosigkeit und Demotivation entstehen, weil sie denken, es wird ihnen sowieso reingequatscht.“
Problematisch werde es auch, wenn Führungskräfte den Mitarbeitenden ihre Aufmerksamkeit nur punktuell schenkten, etwa beim jährlichen Teamtag oder zu einem Projektabschluss. Wer sich darüber hinaus kaum um die Bedürfnisse der Teammitglieder kümmere, wirke schnell unglaubwürdig.
Wer den Hawthorne-Effekt als Führungskraft nutzen will, sollte Wortmann zufolge daher nicht nur auf die Häufigkeit und den Rahmen achten, mit der die Aufmerksamkeit verteilt wird – sondern auch auf die Art der Anerkennung. Leistungsbezogene Prämien etwa seien zwar nichts per se Schlechtes, dämpften aber die intrinsische Motivation. Mitarbeitende machten dann nur, was andere von ihnen erwarteten. „Klassisches Feedback und anerkennende Bemerkungen sind viel wirkungsvoller. Und sie zielen nicht auf den Erfolg in Zahlen ab, sondern auf die Qualität der Arbeit und die Kompetenzen der Person.“
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Was du jetzt tun kannst, um direkt vom Hawthorne-Effekt zu profitieren
Wer gleich heute ins Handeln kommen will, kann sich folgende Frage stellen: Was weiß ich eigentlich über meine Mitarbeitenden? Welche Hobbies haben sie?
Wissen Führungskräfte darauf keine Antwort, sollten sie zügig versuchen, das zu ändern und sich entsprechend bei den Mitarbeitenden schlau machen. Wortmanns Rat dazu: „Im sozialen Miteinander ist es wichtig, so normal wie möglich aufzutreten. Sich also beispielsweise so nach Hobbys zu erkundigen, wie jemand es auch bei Bekannten oder Nachbarn tun würde. Dann bleibt`s authentisch.“
So kannst du den Hawthorne-Effekt klug ergänzen
Wer alternative Methoden sucht, die Performance im Team zu verbessern, kann sich beispielsweise auch den Pygmalion-Effekt zunutze machen. Dieser Effekt erklärt, wie die eigenen Erwartungen die Leistung und das Verhalten anderer beeinflussen. Wer also viel von seinen Teammitgliedern hält, gibt eher positives Feedback, delegiert häufiger verantwortungsvolle Aufgaben – und stärkt damit das Selbstvertrauen und die Motivation aller.
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