impulse: In Zeiten des Umbruchs und der Krisen hat man als Unternehmerin oder Unternehmer eine Menge Aufgaben zu bewältigen. Wie nimmt man sein Team dabei mit?
Nico Rose: Es gibt den Begriff Zweckoptimismus, der in der Alltagssprache manchmal negativ konnotiert benutzt wird. Ich glaube aber, dass es gerade in Krisenzeiten als Unternehmer im Grunde so etwas wie die erste Bürgerpflicht ist und zur Professionalität gehört, optimistisch zu sein. Das heißt manchmal auch, nach außen etwas darzustellen, was ich nach innen gar nicht selbst fühle.
Es geht also darum, die Rolle einzunehmen von jemandem, der positiv in die Zukunft schaut?
Als Unternehmer bin ich immer in einer Rolle: Das, was ich tue, hat einen energetisierenden oder auch einen deenergetisierenden Effekt auf die Leute in meiner Obhut. Deswegen ist es manchmal sogar angemessen, ein kleines bisschen zu schauspielern.
Besteht dann nicht die große Gefahr, unnatürlich zu wirken?
Ich glaube, es kommt darauf an, wann man was macht: Manchmal ist es wichtig, die Leute ein bisschen mit Energie aufzuladen, sie mitzunehmen und ihnen Lust auf die Zukunft zu machen. An bestimmten Tagen kannst du aber durchaus offen und transparent sagen: Mir geht es gerade nicht so gut. Ich mache jetzt die Tür zu und möchte erst mal keinen sehen. Dann hat man eine Ebene der Authentizität.
Der Unternehmer an der Spitze als Energiequelle – auch für Mitarbeitende?
Man hat als Unternehmer immer diese emotionale Gesamtverantwortung. Wir sprechen in der Forschung von der sogenannten relationalen Energie – also der Beziehungsenergie. Das ist die Art von Energie, die durch menschlichen Kontakt gefördert oder gemindert werden kann. Und diese Energie wandert vom Chef aus durch das gesamte Unternehmen, bis ins kleinste Glied oder sogar bis hin zum Kunden. Das ist auch eines der wenigen Dinge, die ich als Unternehmer nicht delegieren kann. Deswegen haben Unternehmer da eine große Verantwortung. Das funktioniert auf ganz verschiedenen Wegen. Was mir selbst hilft: Wenn nichts anderes mehr geht, schaue ich auf Youtube Katzenvideos an. Das ist mein Geheimtipp, das hebt meine Stimmung ganz schnell wieder an.
Es gibt einen tollen amerikanischen Unternehmer namens Ari Weinzweig, der in seinem Buch beschrieben hat, dass man sein eigenes Energielevel messen sollte, wenn man morgens in die Firma geht.
Ist das etwas, was du auch empfehlen würdest?
Definitiv. Ich würde das vor allen Dingen auch zwischen Meetings empfehlen, denn es gibt eine emotionale Hierarchie: Meine Emotionen wirken stärker auf die der geführten Menschen als umgekehrt. Das heißt: Was ich emotional in einen Raum mit hineinbringe, das wird mir mit großer Wahrscheinlichkeit widergespiegelt, weil sich die Leute emotional an meine Stimmung anpassen. Entscheidend ist also, ob ich mich zwischen Meetings über den Tag verteilt immer wieder ein Stück weit emotional regulieren kann.
Das ganze Gespräch mit Nico Rose im Podcast und weitere Interviews und Videos unserer Initiative „Jetzt erst recht“ findest du hier.
Kommen wir noch mal zurück zu dem, was Mittelständlern in der Krise hilft: Was würdest du noch empfehlen?
Es gibt ein Prinzip, das wir Psychologen das WWW nennen. Das steht für „What Went Well“, zu Deutsch: Was ist gut gelaufen? Wir nehmen die Welt nämlich ganz häufig viel schlechter wahr, als sie in Wirklichkeit ist. Unser Gehirn ist keine neutrale Kamera, sondern fokussiert immer auf das, was nicht gut läuft. Deshalb sollte man immer wieder mit der Aufmerksamkeit dahin gehen, wo es gerade – trotzdem – etwas Gutes zu sehen gibt. Das kann man zum Beispiel morgens für sich machen, vielleicht im Auto oder in der Bahn, und überlegen, was gut ist, und so ein bisschen Energie tanken.
Wie kann ich in einer Krise bei meinen Mitarbeitenden konkret für eine positivere Stimmung sorgen?
Indem ich ihnen bestimmte Fragen stelle. Ich habe früher, als ich noch Führungskraft war, meine Leute zum Wochenende immer gebeten, mir Feedback zu geben, und habe sie gefragt: ‚Was waren aus deiner Sicht die zwei, drei besten Momente, die deine Arbeit zu einer wirklich guten Arbeit gemacht haben?‘ Dann schickt man die Leute mit positiven Gedanken ins Wochenende. Das ist gut für die Erholungsqualität. Ich weiß, dass es immer ein bisschen billig klingt, wenn ich das erzähle. Aber es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass diese Übung stimmungsaufhellend wirkt, wenn man sie regelmäßig macht.
Also meine wichtigste Aufgabe ist, Energie weiterzugeben?
Das ist auf jeden Fall eine der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften. Es gibt natürlich ganz viele andere Themen, die auch unglaublich wichtig sind. Aber diese emotionale und energetisierende Komponente wird noch zu stark unterschätzt. Menschen brauchen nicht nur klare Anweisungen, sondern auch gute Energie, Wertschätzung, Respekt. Und wenn Unternehmer oder Führungskräfte in der Lage sind, das zu transportieren, sind sie auf jeden Fall besser in ihrer Rolle, als wenn sie einfach nur fachlich hervorragend sind.
Und abends fahre ich dann nach Hause und breche fast zusammen, weil ich den ganzen Tag über eine Rolle gespielt habe und Energie geben musste. Wie gehe ich damit um?
Wenn das zwischendurch mal passiert, ist das okay. Dann muss man herausfinden, wie man sich abends wieder aufladen kann. Zum Beispiel: Habe ich Menschen um mich herum, die sich ein bisschen wie Sonnenschein anfühlen und Energie geben? Oder habe ich für mich energetisierende Rituale gefunden? Gehe ich noch zum Sport oder in die Sauna? Das ist Self-Care, Selbstfürsorge, Achtsamkeit. Und das ist unglaublich wichtig. Regelmäßig abends keine Energie zu haben, ist gefährlich und geht in Richtung Burnout.
Was kann ich dann tun?
Wenn das langfristig der Fall ist, muss man sich fragen, ob man das, was man tut, weiter ausüben möchte. Vielleicht braucht es einen Partner oder eine Partnerin im Unternehmen, die eher diese menschelnde Seite verkörpert. Nicht jeder ist dafür geeignet, acht oder mehr Stunden am Tag mit Menschen zu sprechen.
Ich erlebe immer wieder Unternehmer, die sich dann Selbstvorwürfe machen. Was sagst du dazu?
Es gibt in der Wissenschaft den Begriff des Selbstmitgefühls der amerikanischen Psychologieprofessorin Kristin Neff, der an die buddhistische Idee des Mitgefühls angelehnt ist. Neff sagt sehr treffend: Wenn Menschen so mit ihren Freunden umgehen würden, wie sie mit sich selbst umgehen, hätten sie keine Freunde mehr. Das heißt: Die schlimmsten Dinge, die wir über uns selbst hören, sagen nicht andere Menschen zu uns, sondern die sagen wir uns selbst. Gerade sehr leistungsmotivierte Menschen leiden unter diesem fiesen inneren Dialog. Dazu gehören in der Regel auch Unternehmerinnen und Unternehmer.
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Was rätst du in solchen Situationen?
Nach einem schlechten Tag kann man sich zum Beispiel vorstellen, was man zu einem guten Freund sagen würde, der gerade in der Patsche steckt. Anschließend überträgt man diese Gedanken auf sich selbst. Selbstmitgefühl ist allerdings kein kleiner Trick oder Life Hack. Es ist eher etwas, was man über die Zeit kultivieren und lernen kann.
Und wie gelingt das?
Indem man erstens Achtsamkeit gegenüber der eigenen Fehlbarkeit entwickelt und zweitens erkennt: Unperfektsein, nicht immer alles hinzukriegen, ist das, was Menschen verbindet. Das ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner, den wir überhaupt als Menschen haben. Und trotzdem haben viele Angst davor, die eigene Fehlbarkeit zu zeigen. Durch Selbstmitgefühl kann man lernen, das Unperfekte ein bisschen nach außen zu kehren – was einen für andere Menschen übrigens auch sympathischer macht und verbindet. Und drittens geht es darum, sich selbst ein bisschen gütiger zu behandeln, auch im Angesicht der eigenen Unperfektheit.
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