„Propaganda I’m not falling for“: Was hinter dem TikTok-Trend steckt und was Marken wissen müssen

Der Propaganda-Trend auf TikTok zeigt, wie Konsum, Ästhetik und Haltung verhandelt werden – von Oatmilk bis Indie-Feminismus. Wer die Codes versteht, wird Teil der Debatte – statt Ziel davon. Unsere Analyse kann dabei helfen.

Mai 27, 2025 - 15:20
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„Propaganda I’m not falling for“: Was hinter dem TikTok-Trend steckt und was Marken wissen müssen

Was haben Botox, Hafermilch, OnlyFans, die Puppe Labubu, Beinrasur, 9-to-5-Jobs und sogar die US-amerikanische Singer-Songwriterin Gracie Abrams gemeinsam? Sie alle werden auf TikTok als „Propaganda“ bezeichnet – allerdings nicht im politischen Sinn. Der Begriff ist Teil eines ironischen Trends, der alltägliche Phänomene in pointierte Kommentare über gesellschaftliche Normen verwandelt. Unter dem Label „Propaganda I’m not falling for“ erklären Nutzer:innen persönliche Vorlieben, Konsumtrends oder ästhetische Ideale kurzerhand zur ideologischen Beeinflussung. Dabei geht es nicht um harte Statements, sondern um spielerische Kritik. Hinterfragt wird, was heute als normal oder wünschenswert gilt – und warum.

Ein Beispiel für diesen Trend liefert Creatorin Vanessa (@vkyosina). In einem ihrer Videos listet sie in schneller Folge auf, auf was sie nicht mehr hereinfällt – von der Antibabypille bis zum Traum vom Leben in Dubai. Ihr Ton ist nicht wütend, sondern ironisch. Die Kritik trifft trotzdem.

@vkyosina

no way ♬ goddess of discord – CTRLWRLD

Dabei wird der Begriff „Propaganda“ bewusst überstrapaziert: Von Oatmilk über SkinnyTok bis hin zu Graphic Design oder der Stadt Berlin – kaum ein popkulturelles Phänomen oder Vorurteil bleibt verschont. Auch Themen wie Rechnungsaufteilung beim Dating, literarische Vorlieben oder der Sommerurlaub abseits Europas werden auf TikTok unter diesem Label ironisch kommentiert. Was wirkt wie Entertainment, ist gleichzeitig ein präziser Kommentar auf den täglichen Druck, sich richtig zu verhalten – online, ästhetisch, politisch, etc.


Unsichtbar im Profil, viral im Feed?
TikTok rollt neues Video-Feature aus

Zwei Smartphone-Screens zeigen die TikTok-Einstellung „Don’t show on TikTok profile?“ für Branded Content unter futuristischem Grid-Hintergrund.
© Jonah Manzano via Canva


Der Begriff „Propaganda“ ist in Deutschland historisch stark aufgeladen – nicht zuletzt durch seine Instrumentalisierung im Nationalsozialismus. Dass TikTok User ihn nun ironisch verwenden, mag auf den ersten Blick provokant wirken. Doch genau darin liegt die Spannung des Trends: Er nutzt ein schwer besetztes Wort, um auf moderne Normen und subtile Beeinflussung aufmerksam zu machen – nicht durch politische Institutionen, sondern durch Schönheitsideale, Konsumkultur und Social-Media-Algorithmen. Diese semantische Umdeutung ist nicht unproblematisch, aber auch Ausdruck einer Generation, die Sprache bewusst bricht, um Strukturen sichtbar zu machen.

Von Selfcare bis Systemkritik: Wie der Trend funktioniert

TikTok User verwenden den Begriff „Propaganda“ nicht wahllos. Die Videos folgen klaren ästhetischen und narrativen Mustern – von der fragmentierten Aufzählung bis hin zum wiederkehrenden Soundtrack. Besonders beliebt: der Song I think about it all the time von Charli XCX & Bon Iver, der die ironische Distanz zur Aussage unterstreicht. Leg shaving? Feminine Propaganda. Coffee-to-go als Treat? Capitalist Propaganda.

Ein weiteres Beispiel für diesen Trend liefert die Creatorin lxyzfbxx (@lxyzfbxx): In einem ihrer Videos zählt sie eine Reihe von Phänomenen auf, die sie als Propaganda ablehnt – von gesellschaftspolitisch aufgeladenen Themen wie dem Recht auf Abtreibung bis hin zu popfeministischen Ästhetiken wie dem „Clean Girl Look“.

@channonmooney

propaganda i’m not falling for ♬ I think about it all the time featuring bon iver – Charli xcx & Bon Iver

Der Social-Media-Experte Matt Navarra griff den Trend kürzlich in einem Threads Post auf und teilte eine Liste scheinbar banaler Dinge, die aktuell als Propaganda gebrandmarkt werden. Grundlage seines Beitrags ist ein Artikel der New York Times, der dem TikTok-Phänomen nachgeht – und es als Spiegel einer Generation beschreibt, die zwischen Überforderung und Selbstbehauptung neue Ausdrucksformen findet.

Auf Threads ansehen

Die New York Times beschreibt die Propaganda-Listen als mehr als bloße Witze. Dahinter stecke zugespitzte Gesellschaftskritik – verpackt als Unterhaltung. Gerade in einer Zeit, in der vieles inszeniert wirkt – von Selfcare bis zur Karriere – nutzen junge Menschen TikTok, um sich gleichzeitig zu zeigen und abzugrenzen. Ironische Labels wie „indie girl propaganda“ schaffen Nähe. Sie erzählen Persönliches, ohne zu viel zu offenbaren. Auffällig dabei: Die meisten Posts wirken beiläufig, folgen aber festen Codes. Von viralen Sounds wie dem Song von Charli XCX und Bon Iver bis zu den typischen, fast essayhaften Aufzählungen. Ironie, Popkultur und Kritik – diese Mischung prägt viele TikTok-Formate der Gen Z. Zumindest in bestimmten digitalen Milieus. Hier siehst du noch weitere TikToks, die zeigen, wie der Propaganda-Trend funktioniert:

@nikkijayokay

♬ I think about it all the time featuring bon iver – Charli xcx & Bon Iver